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Archiv-Artikel

AFGHANISTAN: PROTESTE GEGEN ETHNISCHE DOMINANZ IN DER VERFASSUNG Knappe Mehrheiten reichen nicht

In Kabul droht die Große Ratsversammlung, die über die neue Verfassung Afghanistans entscheiden soll, zu scheitern. Die Spaltung unter den 502 Delegierten der Loja Dschirga nimmt zu. Eine Mehrheit aus Paschtunen steht gegen die Vertreter der anderen Ethnien, von denen die meisten inzwischen die Abstimmungen boykottieren. Nun sind die Beratungen ausgesetzt. Vertreter der UN, der USA und der afghanischen Regierung verhandeln hinter den Kulissen. Die Transparenz nimmt ab, der Manipulationsverdacht zu – mit dem Ergebnis, dass der demokratische Prozess insgesamt weiter beschädigt wird.

Die Loja Dschirga ist in den entscheidenden Machtfragen festgefahren. Hinter dem scheinbar oberflächlichen Streit um die Nationalhymne oder um den Stellenwert einzelner Sprachen steckt die Angst vor ethnischer Dominanz. Es geht um die Machtaufteilung zwischen der Zentralregierung und den Regionen und Provinzen. Präsident Hamid Karsai und die Paschtunen setzen alles daran, eine starke Rolle des Präsidenten durchzusetzen – was ihm vor allem die tadschikischen Warlords verwehren wollen. Als traditionelles Herrschervolk neiden die Paschtunen den tadschikischen Mudschaheddin die Macht, die diese nach dem Sturz der Taliban mit US-Hilfe erlangt haben.

Doch es geht auch um den berechtigten Schutz von Minderheiteninteressen. Darüber kann nicht einfach mit einfacher Mehrheit in Kampfabstimmungen entschieden werden, weil die Minoritäten dann immer dominiert werden können. Hierzu bedarf es vielmehr eines breiten Konsenses. Der ist auch für eine so wichtige Rechtsgrundlage wie eine Verfassung nötig. Karsai hat jedoch den Delegierten eingeschärft, dass ihm eine einfache Mehrheit reicht, die er auch selbst bei einem anhaltenden Boykott bekommen dürfte. Das aber wäre ein Pyrrhussieg – für Karsai und für Afghanistan. Um 23 Jahre Krieg und Spaltung hinter sich zu lassen, braucht das Land eine von möglichst vielen akzeptierte Verfassung. Diese jetzt gegen fast die Hälfte der Delegierten durchzusetzen hieße, die nächste Krise herbeizuführen. SVEN HANSEN