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Archiv-Artikel

ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS Du schleppst selbst

Im Land der unbegrenzten Vorschriften wird ein Umzug zum juristischen Abenteuer

Deutschland ist ein Land voller Vorschriften. Das glauben Sie auch, was? Dann sind Sie einfach noch nie innerhalb der Vereinigten Staaten umgezogen. Ich und der Liebste mussten uns vorher gehörig Mut zusprechen. Mut braucht man, um sich bei der Nennung der jeweils verlangten Miete nicht gleich vor der Suppenküche anstellen zu wollen. Ein Ein-Zimmer-Appartment im Stadtzentrum von Washington kostet Minimum schlappe 2.000 Dollar im Monat, in Manhattan können daraus dann gerne das Doppelte werden – wenn man ein Fenster haben möchte.

Aber Geld ist nicht alles. Von New Yorker Freunden hörten wir, dass man in ein Haus „passen muss“, um einziehen zu dürfen. Bevor sie ihre Wohnung in einer der Hausgemeinschaften der Lower East Side beziehen konnten, mussten sie ihre Einstellungen zu Anthroposophie, Fleischessen und gewaltloser Haustierhaltung darlegen.

Ich habe daher nicht schlecht gestaunt, als ich meine alte Wohnung auf der in den gesamten USA unumgänglichen „Craigslist“ im Internet inserieren wollte. Ich habe im Leben schon zahllose Kleinanzeigen aufgegeben, aber noch nie wurden mir dafür bis zu 2 Jahre Gefängnis und/oder mehrere hunderttausend Dollar Strafe angedroht, wenn ich sie falsch formuliere. Unbedingt zu unterlassen, warnte mich eine Hinweismail, seien diskriminierende Formulierungen. Ich dürfe unter keinen Umständen erwähnen, dass unsere Wohnung im kneipendichten Schwulenviertel Washingtons gleich neben der seit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung legendären U Street liegt. Auch nicht, dass Raucher okay wären, weil sich ja schwule chinesische Nichtraucher hätten diskriminiert fühlen könnten. Wir haben dennoch einen Nachmieter gefunden, ohne angezeigt zu werden. Ein Wunder.

Auch der Umzug selbst geriet zum juristischen Risiko. Die populärste Umzugswagenfirma der USA heißt einfach „U-haul“, was bedeutet: „Du schleppst selbst.“ U-haul wies uns mit fünf Verbotsschildern in der Fahrerkabine darauf hin, was wir alles nicht dürfen: brennbare Flüssigkeiten transportieren, die mitgemietete Sackkarre kommerziell entfremden, die Sicherheitsgurte vergessen und mit halb geschlossener Ladefläche fahren. Das war noch leicht. Dann aber kamen wir an unserer neuen Adresse an. Das erste Gebot dort: absolutes Parkverbot für Fahrzeuge ohne Hausregistrierung. Egal, dachten wir. Es war Sonntag und wir wollten die ersten Möbel hinauf in den sechsten Stock bringen. Doch wir hatten Gebot Nr. 2 übersehen. Am Wochenende ist der Transport von sperrigen Gegenständen strengstens verboten. Shit. Wir werden die Schreibtischplatten eben bis morgen im Keller abstellen. Dort angekommen, lasen wir ein Schild: Das Abstellen von Privateigentum ist strengstens verboten. Es drohen mehrere tausend Dollar Strafe. Egal, notfalls verstehen wir eben kein Englisch.

Am nächsten Tag kamen wir mit der zweiten Fuhre an. Ein missmutiger Philippiner, unser Hausmeister, erklärte uns, dass Gegenstände, die größer als Einkaufstüten seien, nur mit dem Lasten- keinesfalls aber mit dem Personenaufzug zu befördern seien. Als wir, Kartons auf dem Arm, auf den anderen Fahrstuhl zusteuerten, rief er uns hinterher, der Lastenaufzug sei am Montagvormittag für die Hausreinigung reserviert. Jetzt bloß nicht pampig werden. Empörte Nörgelei, wie sie einem in Deutschland zu Recht verhilft, damit hatten wir in unserer neuen Heimat nachhaltige Misserfolge erzielt. Wir verwickelten den Hausmeister also in einen heiteren Smalltalk über die Philippinen, was offensichtlich wirkte. Er schloss uns den Lastenaufzug auf. Sagte dann aber, dass es verboten sei, Lasten durch die Haustür des Gebäudes hineinzutragen. Es gab ungefähr noch 17 weitere Gebote. Ich weiß nicht mehr, wie wir es bis in unsere neue Wohnung geschafft haben. Am Ende drohte uns noch der Rat der Hausgemeinschaft einen Brief an, weil wir unsere Telefonnummer nicht innerhalb von 24 Stunden mitgeteilt hatten. Ab jetzt erscheint mir die schwäbische Kehrwoche geradezu als ein libertärer Akt der Nächstenliebe.

Fotohinweis: ADRIENNE WOLTERSDORF OVERSEAS Fragen zum Umzug? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE