■ ABENDLAND: T.S. Eliots "Cocktail Party"
L A N D Die (ehemalige) DDR nach der Wende ist bewohnt von einem Volk von psychisch Kranken. Mit dieser pauschalen Feststellung haben erst kürzlich Seelendoktoren Empörung und Schlagzeilen ausgelöst. Das Maxim-Gorki-Theater Unter den Linden hat sich dieses zerrissenen, lieblosen, modernen Menschen in einer schlechten Welt nun angenommen — und ist dabei in missionarischem Eifer gleich noch einen Schritt über Freudsche Analysen hinausgegangen: Die schwer sinnsuchende »Cocktail Party« des konservativen englischen Dramatikers und Nobelpreisträgers T.S. Eliot von 1949 bringt katholische Schuld- und-Sühne-Fragen ins gewendete Ost-Berlin. Eine Komödie, die aus der seichten Welt britischer Oberschichtssünder aufbricht und mit einer echten Kreuzigung endet. Christliches Abendland nun als letzte Antwort nach dem ruhmlosen Abgang von Papa Marx?
Ganz so schlicht hat Eliot sein Stück zwar nicht geschrieben, das man aber mühelos auch für eine religiöse Belehrung in einem katholischen Pfarrhaus zurechtinszenieren könnte. Am Zeigefinger führt aber auch für Regisseur Rolf Winkelgrund kein Weg vorbei. Die bittere langatmige Komödie beginnt und endet mit einer Cocktail-Party mit Drinks und small talk im Salon des Ehepaars Edward und Julia Chamberlayne. In einem sehr gelungenen gleißend-hellen Bühnenbild in Schwarzweiß plaudern ebenfalls in Schwarzweiß gewandet die Partygäste der Chamberlaynes. Wie Puppen hängen sie — innerlich leer — sehr britisch an ihren Konventionen. Diese gebieten es Edward Chamberlayne zu verschweigen, daß ihn seine Ehefrau Lavinia soeben endlich verlassen hat. Die Freiheit, die sich ihm nun auftut, kann er nicht nützen. Ein Leben mit seiner jüngeren Geliebten Cecila erscheint ihm plötzlich ebenso sinnentleert, wie jenes zuvor mit der ungeliebten, kalten Julia. Und Celia wiederum verliert schlagartig die Illusion vom großen Glück mit Edward, der sich unfähig zu jeglicher Liebe den Ehedrachen zurückwünscht — und auch bekommt. Die Erkenntnis dabei: Alle sind unfähig zu lieben — und können auch keine Liebe empfangen. Jeder sieht nur noch sich selbst und entdeckt dabei in sich nur völlige Leere, Passivität, Verlorenheit. Der Psychodoktor muß her — und ist in der Gestalt des übermenschlichen, geheimnisvollen Seelendoktors Sir Henry auch schon da. Der klempnert überlegen an dem mittelmäßig-belanglosen Ehepaar ein wenig herum und schickt Celia auf ihren Weg ins Jenseits. Sie, die als einzige die Schuld an der Unfähigkeit zu lieben bei sich selbst sucht, geht als büßende Samariterin zu pestkranken Menschenfressern auf eine ferne Insel und stirbt dort am Kreuz — über einem Ameisenhaufen. Zurück bleiben die Gäste der Cocktail-Party, merkwürdig berührt von einem solch unchristlichen Martytrium, leicht irritiert, ratlos geschwätzig.
Wer mit dem Begriff Komödie Kurzweil verbindet, sitzt in der falschen Vorstellung: Die zwar durchaus witzigen, aber endlos tiefsinnigen, in menschlichen Abgründen herumstochernden Dialoge Eliots verlangen viel Sitzfleisch. Diese vorgegebene Handlungsarmut hat Regisseur Winkelgrund nicht gerade zu sprühenden Gegenmaßnahmen veranlaßt. Uwe Kockisch mimt den Eheschlappschwanz Edward immerhin sehr feinfühlig ironisch, Anne-Else Paetzold die Leviana beißend spießig und grausam. Swetlana Schönfeld bleibt als Lebedämchen mit Hollywood-Ambitionen dagegen recht farblos — was aber auch sein Gutes hat: all zu schnell wäre sonst erst recht jene Vorher-nachher-Peinlichkeit aufgekommen, die bekehrte Sünderinnen in katholischen Missionsspielen auszeichnet. Woher kommt bloß diese Sehnsucht nach Golgotha? Eine Frage, die man eher Regisseur Winkelgrund und dem Maxim-Gorki-Theater stellen müßte. Thomas Kuppinger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen