9Live jetzt ohne Telefongewinnspiele: Kein Schwein ruft mehr an
Die Medienaufsicht sah dem Abzock-TV auf 9Live jahrelang ziemlich untätig zu, doch jetzt haben Call-in-Shows ausgedient – sie lohnen sich einfach nicht mehr.
"Für alle Fälle Stefanie", "Kommissar Rex" oder auch "Nip/Tuck" – wer derzeit beim Zappen versehentlich über den Sender 9Live stolpert, erkennt ihn gar nicht mehr: Seit dem 1. Juni sind die unter Abzock-Generalverdacht stehenden Anrufshows, bei denen absurde Automarken/Vornamen/Nebenflüsse zu "erraten" waren, passé. Sie lohnen sich schlicht nicht mehr.
Noch vor fünf Jahren konnte sich das "Transaktionsfernsehen", das weniger TV-Programm als televisionärer Daddelkasten war, stolz als renditeträchtigster Kanal der ProSiebenSat.1-Programmfamilie feiern. Über Jahre hatten vor allem die für den Sender zuständigen bayerischen Medienaufseher alle Augen zugedrückt und hingenommen, dass 9Live mit fragwürdigen Gewinnspielchen Zuschauern das Geld aus der Tasche zog.
9Live machte dank der Telefon- und SMS-Gebühren (in Deutschland pro Anruf oder SMS 50 Cent) seiner "Mitspieler" prächtig Kasse. Denn die gingen zumeist kostenpflichtig ins Leere. Und selbst wer wirklich einmal drankam, hatte bei den Fragen – zu raten waren gern mal Automarken, die nur auf der Detroit Motor Show 1963 kurz als Prototypen das Licht der Welt erblickten – kaum eine Chance.
Öffentlicher Druck und engagierte Blogs läuteten ab 2008 das lange Ende des Abzock-TVs ein: Die zunächst zögerlichen Medienaufseher reformierten 2009 ihre "Gewinnspielsatzung". Zwar versuchte man in Bayern, 9Live zunächst von Bußgeldern zu verschonen, doch ab 2010 wurde der Kanal regelmäßig zur Kasse gebeten.
Außerdem musste 9Live immer deutlicher auf die realen Bedingungen seines Telespiels hinweisen – und immer weniger fielen drauf rein. Trotzdem bleibt 9Live eines der peinlichsten Kapitel der deutschen Privatsender-Aufsicht.
Jetzt hat der Sender seinen "Live-Betrieb", so die Umschreibung für die schlichtmoderierten Zock-Formate, eingestellt. Seit Mittwoch spielt 9Live brave TV-Konserven aus dem Konzernarchiv und macht damit zum ersten Mal so etwas wie – Programm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid