82 Lichtbilder für 105.495,17 Mark

■ Antwort der Bundesregierung zur Verhaftung von Ingrid Strobl und Ulla Penselin bringt Finsternis ins Ermittlungsdunkel / Woher kommt neuer Tatvorwurf? / AnwältInnen durften Akten durchblättern

Aus Bonn Oliver Tolmein

Den AnwältInnen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl, Hartmut Jacobi und Edith Lunnebach, ist immer noch keine Akteneinsicht gewährt worden, sie durften einen Teil der Ermittlungsakten mittlerweile aber durchblättern. Die Einsicht habe, so Jacobi zur taz, seine Erkenntnis bestätigt, „daß meiner Mandantin nach wie vor kein Tatvorwurf gemacht werden kann“. Auch Ingrid Strobls Anwältin Lunnebach erklärte nach Durchsicht der fünf Leitzordner, daß die Ermittlungen und Observationsmaßnahmen außer dem behaupteten Weckerkauf keine Fakten zutage gebracht haben. Daß die Bundesanwaltschaft beim BKA mittlerweile einen zweiten linguistischen Vergleich von Ingrid Strobls Artikeln und dem Bekennerbrief für den Anschlag auf die Lufthansa in Auftrag gegeben hat, weil das erste Gutachten keine Ähnlichkeiten entdecken konnte, bestätigt für sie die Vermutung, daß die Indizien „sehr, sehr dürftig“ sind. Merkwürdigkeiten sind bei einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der grünen Abgeordneten Ellen Olms zu den Verhaftungen der beiden Frauen aufgetaucht. In einer Vorbemerkung behauptet die Bundesregierung, es gebe „den Verdacht, daß diese Personen... an dem Sprengstoffanschlag auf die Lufthansa– Hauptverwaltung in Köln am 28.10.1986 bzw. an dem versuchten Sprengstoffanschlag auf das Gentechnische–Institut am 17.10.86 beteiligt waren“. Letzterer Anschlag ist von den Ermittlungsbehörden bisher aber weder Penselin noch Strobl zur Last gelegt worden. Auf Nachfrage der taz erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, seine Behörde gebe lediglich den Ermittlungsstand der Bundesanwaltschaft wider. Diese zeigte sich erstaunt: Die Antwort der Bundesregierung sei ihnen nicht bekannt, am Ermittlungsstand habe sich seit dem 18. Februar 1988 nichts geändert, Penselin werde nach wie vor lediglich eine Beteiligung an den Anschlägen auf „Adler“ angelastet. Widersprüchlich sind auch die Angaben über Lichtbilder, die von 82 KäuferInnen des Emes–Sonochron–Weckers auf Veranlassung des BKAs angefertigt wurden. Während die Bundesregierung ausführt, die Aufbewahrung der Lichtbilder erfolge „gemäß den Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen unter Beachtung der dort vorgesehenen Löschungsfristen“, erklärte ein Sprecher des BKAs, die Lichtbilder würden als „Asservate“ für die Hauptverhandlung gegen Strobl bzw. Penselin aufbewahrt. Von einer „personenbezogenen Sammlung“ könne nicht die Rede sein, weil die Personalien der Abgelichteten dem BKA nicht bekannt seien. Die Bundesregierung variiert die Aussage des BKAs in ihrer Antwort: die Personalien seien nicht bekannt „mit Ausnahme von zwei Fällen, in denen numerierte Wecker für Sprengstoffanschläge genutzt wurden“. Diese Antwort läßt die Frage offen, wer - neben Ingrid Strobl - die zweite Person ist und welches der zweite Anschlag gewesen sein soll. Die Bundesanwaltschaft, befragt, was sie durch das Vorlegen der Lichtbilder von 80 namentlich nicht bekannten Personen in der Hauptverhandlung beweisen wolle, gab sich ahnungslos: wie die Antwort der Bundesregierung bereits besage, seien die Lichtbilder als „personenbezogene Sammlung“ in der Verfügungsgewalt des BKAs und nicht in der ihren. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage geht im übrigen hervor, daß das BKA der Herstellerfirma des Weckers 743,17 Mark für den „zusätzlichen Aufwand“ bei der Produktion gezahlt hat. Die Installation von Videokameras zu Überwachungsmaßnahmen in 30 nordrhein–westfälischen Läden schlägt mit 105.495,70 Mark zu Buche und wurde von zwei BKA– Beamten überwacht.