: 8 Tage Warten bis zur Vernehmung
■ „Notruf für vergewaltigte Frauen“ fordert personelle Verbessungen bei Polizei und Staatsanwalt / 34-Punkte-Programm vorgelegt Von Kaija Kutter
Die Horror-Szene des Macho-Polizisten, der die vergewaltigte Frau beim Verhör auf der Wache schikaniert, als wären sie die Schuldige, gehört gewiß der Vergangenheit an. Seit Mitte der 80er Jahre hat auch bei der Polizei ein Umdenken eingesetzt, ist es Konsens, daß es für vergewaltigte Frauen besser ist, von Kripo-Beamtinnen vernommen zu werden. Auch gibt es seit 1989 eine Sonderstaatsanwaltschaft, die sich ausschließlich mit Verstößen gegen die sexuelle Selbstimmung befaßt. „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V.“ könnte also zufrieden sein.
Doch der Teufel liegt wie so oft im Detail. Die vier Mitarbeiterinnen der einzigen Hamburger Beratungsstelle für Vergewaltigungsopfer haben gestern eine Liste mit 34 Punkten veröffentlicht, die ihrer Ansicht nach dringend verbessert werden müssen. Allen voran: die personelle Ausstattung der Dienststellen bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die sich mit Gewalt gegen Frauen befassen.
So gibt es bei der Staatsanwaltschaft nur eine einzige Planstelle, verteilt auf einen Staatsanwalt und zwei Staatsanwältinnen, die für sämtliche Vergewaltigungsverfahren in Hamburg zuständig ist. Eine „absurd schlechte Relation“, wie Notruf-Mitarbeiterin Gudrun Ortmann konstatiert. Folge: Die Sonderstaatsanwälte seien zwar gut eingearbeitet, könnten aber bei den Prozessen oft nicht mal selbst erscheinen. Häufig übernähmen deshalb Kollegen die Vertretung, denen der Fall nicht vertraut ist.
Noch absurder die Engpässe bei der Fachdienststelle LKA 213. Hier müßten Frauen bis zu acht Tage Wartezeit in Kauf nehmen, bevor sie einen Vernehmungstermin bei der Kripo bekommen. Das habe zur Folge, daß die Spurensicherung und die Suche nach dem Täter verzögert wird. Für Frauen, die Angst vor dem Täter haben, eine unerträgliche Situation.
„Uns ist klar, daß die Beamten dort überlastet sind“, sagt Notruf-Mitarbeiterin Marlies Werner. „Wir haben in letzter Zeit den Eindruck, daß sich die Frauen dort nicht so verstanden fühlen.“ Notruf e.V. wünscht sich aber auch Fortbildung und Supervision für die Kripo-Beamtinnen. Um zu verhindern, daß bei der Befragung bereits Wertungen und Vorwürfe formuliert werden, sei eine kritische Reflektion der Arbeit nötig.
Doch auch auf den Revierwachen würden die Frauen noch in einer Weise verhört, die für sie schädigend sei. Sprüche wie „Was haben sie aber auch in dieser Gegend zu suchen?“ und Detailverhöre seien durchaus noch üblich, obwohl es die klare Anweisung der Landespolizeidirektion gibt, Opfer nur nach den zur Ergreifung des Täters nötigen Angaben zu fragen.
Die wichtige Information, daß es Beratungsstellen und die Möglichkeit einer Nebenklage für das Opfer gibt, würden die Beamten je nach Gutdünken vorenthalten. Ortmann: „Oft rufen Frauen einen Tag vor Prozeßbeginn bei uns an. Dann, wenn es eigentlich zu spät ist.“
Prozeßbegleitung ist neben der ersten psychologischen Beratung ein Schwerpunkt von Notruf e.V. „Wenn allein Frauen zum Prozeß gehen, ist es für sie unmöglich“, sagt Gudrun Ortmann. Auch bei Ausschluß der Öffentlichkeit müßte es deshalb für die Opfer erlaubt sein, Mitarbeiterinnen einer Beratungsstelle als „psychologischen Beistand“ dabei zu haben. Erst kürzlich sei eine Notruf-Mitarbeiterin gegen den Willen des Opfers aus dem Gerichtssaal verwiesen worden.
Auch mit den Richtern sind die Notruf-Frauen nicht zufrieden. Seit Jahren fordern sie die Einrichtung einer Spezialkammer bei Gericht – analog zur Kammer für Wirtschaftsdelikte. „Es kommt immer wieder vor, daß Richter nach dem Vorleben der Zeugin fragen, obwohl dies nichts mit der Tat zu tun hat“, erklärt Marlies Werner. Die Befragung müßte für die Zeugin transparent sein und der juristische Zusammenhang erkennbar gemacht werden, um bei der Zeugin nicht das Gefühl hervorzurufen, sie sei unglaubwürdig und habe etwas fasch gemacht. Diese leider noch gängige sogenannte „doppelte Viktimisierung“ durch den Prozeß hätte psychische Folgeschäden bis hin zur Suizid-Gefahr.
Das Notruf-Telefon gibt es seit 13 Jahren, seit gut fünf Jahren mit behördlich finanzierten Stellen. „Wir müssen die Mißstände ankreiden, weil wir täglich damit zu tun haben“, sagt Gudrun Ortmann. Während Gewalt gegen Frauen in den Medien stets gut vermarktet würde, hätte das Thema „Hilfe für Gewalt gegen Frauen“ zur Zeit leider keine Konjunktur.
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