68er-Ausstellung in Frankfurt: Wir wollten nur spielen
In Frankfurt widmet sich eine Ausstellung den 68ern. Die Kuratoren fokussieren die lange Wirkung des Aufbruchs von einst.
So viel milieu- und lagerübergreifende Schmuserei muss wohl doch für abwegig gehalten worden sein: dass man zur Eröffnung gleich in die Paulskirche geht und dass obendrein Petra Roth, Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, quasi segnende, einbettende Worte spricht. Die Politikerin hatte einen anderen Termin und der symbolischste Ort republikanischen Bewusstseins in Deutschland schien wohl doch eine Nummer zu groß. Man kam schließlich in der Universität zusammen, und das ist ja triftigerweise auch der beste Platz für den Auftakt einer Ausstellung, die so etwas wie Zeitgeist nachspürbar machen möchte, den der Sechzigerjahre. Und die Atmosphäre jener Zeit kann, vor allem, was das Jahr 1968 angeht, bestimmt am echtesten in jener Kaderschmiede des bürgerlichen Nachwuchses rückverortet werden, an der Popstars wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer oder Jürgen Habermas gelehrt und gewiesen haben.
Der Umstand also, dass die als liberal geltende Politikerin nicht das erste Referat zum Thema halten wollte, obwohl sie gesprächsweise sich selbst als Achtundsechzigerin geoutet hat, weil diese Zeit sie nun mal als Jugendliche inspiriert und geprägt habe, muss schon als fettestes Haar in der Suppe der ganzen Erinnerungsmühen in Frankfurt am Main erkannt werden. Denn sonst, ein Kolloquium vorigen Montag zur Einführung in die Ausstellung unterstrich dies überdeutlich: Alle, buchstäblich alle gucken mit wehem, aber zufriedenem Gemüt auf dieses Jahr, auf diese Zeit, auf diese Ära. Da spricht Häuserkampfinterpret Tom Koenigs, eine mächtige Figur im grünalternativen Furor der Zeit nach 1968, mit dem früheren Polizeipräsidenten - und sie attestieren sich artig, sich nun prächtig zu verstehen. Dass von den ersten Erben der Achtundsechziger, Joschka Fischers "Putztruppe" unter vielen anderen, gar keine Gewalt ausgegangen sei, vielmehr habe man "fantasievoll" (Daniel Cohn-Bendit) nur "ausprobieren", "spielen" wollen. Oder, bei gleicher Gelegenheit, eine Veteranin wie Elsemarie Maletzke, die, aus der Provinz bei Idar-Oberstein kommend, beim Frankfurter Autonomenzentralblatt Pflasterstrand ihr Auskommen fand. Sie gab zu Protokoll, dass es für sie überlebenswichtig gewesen sei, von Frankfurt aus die Welt aufzumöbeln. So sprachen die Alten und schon aus biografischen Gründen authentisch Rückschauenden.
Gott sei Dank haben sie nicht die Ausstellung konzipiert, das waren Junge, und dies allein spricht für die Schau. Kuratiert hat sie ein Team aus der Schweiz, angeführt von Andreas Schwab, Beate Schappach sowie Manuel Gogos, allesamt um die Mitte 30, also so etwas wie die Kinder der ProtagonistInnen oder deren kleinste Geschwister. Und als solche haben sie den Veteranen ein würdiges Setting zubereitet. Eine Fülle von Exponaten haben sie gesammelt, Schriftgut, Flugblätter, viele linke, manche rechte, außerdem, optisch die entscheidende Nuance jenseits vom Kitsch, eine Art Wandteppich gefertigt, auf denen die Ikonen der militanten Bewegung beieinander stehen, Titel "Die Heilige Familie": Luxemburg, Liebknecht, Ho Chi-Minh, Marx, Mao, Che, Zetkin, Brecht, Engels, Lenin, Hegel und, sacht, aber kenntlich zu ihnen am Rande stehend, Rudi Dutschke.
Dieses Signum allein hätte, mit dem historischen Wissensstand von heute, als Affront genommen werden können: Unter den Figuren immerhin ein paar, die mit Fug und Recht heutzutage als Inspiratoren von Massenmord und Terrorismus zu gelten haben. Aber es regt sich eben niemand auf - die KuratorInnen legen ihre Fundstücke so aus, dass die Abgründe im toten Winkel bleiben. Nachfahren eben einer Zeit, die selbst mit bestem Recherchevermögen nicht wieder zum Leben erweckt werden kann: Sie haben sich für die guten Resultate entschieden, die diese Ära mit ihren Kadern erbracht hat - und riskieren keinen bösen Ton auf dieser Familienfeier. Das, was Götz Aly, Autor des schneidig geschmähten Buches "Unser Kampf. 1968 - ein irritierter Blick zurück", hätte bemerken können, tat er bereits im Rahmenprogramm vor zwei Wochen, aber auch seine giftigen Einwände gegen die Selbstbesoffenheit der Jungerwachsenen jener Jahre würden auf dieser Ausstellung flugs erstickt. Denn man guckt ja zurück auf eine Zeit, von der an alles in allem, ob mit Absicht der 68er oder ohne sie, dieses Land gelockert und entlüftet wirkte.
Vielleicht ist ein Museum, das sich schon namentlich der Aufbereitung von Gestrigem zu widmen hat, auch nicht der beste Ort, um sehr alte, schmutzige, irgendwie muffig scheinende Wäsche zu waschen. Insofern muss eine Ausstellung über einen langen Sommer voll kurzer Weile auch einen Kompromiss wenigstens riskieren: Muss man denn immer die ollen Kamellen noch mal aus der Seitentasche klauben, Recht behalten, es so genau nehmen? Die KuratorInnen haben, so darf man es verstehen, auf ihre Weise dem Kanon des Achtundsechzigerhaften einige Akzente verpasst, die, hätten es die Altvorderen organisiert, so nicht gesetzt worden wären. Beispielsweise die mächtige Präsenz von feministischen Hervorbringungen aus jenen Jahren, auch die Zeugnisse aus der sexuellen Revolte; Verena Stefans Buch "Häutungen" wird ebenso gezeigt wie eine Fülle von Plakaten, auf denen Frauen zur Revolte in antipatriarchaler Hinsicht aufrufen; auch die würdige, nicht nur nischenhafte Präsenz von Schwulem und Lesbischem (Flugblätter, Broschüren, Fotografien) macht dieses Ausstellungskonzept einleuchtend. 68 war eben ein Geburtskanal, aus dem sehr viele Sprösslinge erwuchsen, die im dröhnend traditionalistischen Programm der militanten Kader stets unberücksichtigt blieben: Das Recht auf Eigensinn, auf Selbstbestimmung, auf Selbstermächtigung wider die ältlich-konservative Ordnung. Beide Felder, das der Frauen wie der sexuell Anderen, reichen bei den Exponaten bis in die späten Siebziger - was die These des Ausstellungskonzepts, die von der langen Wirkung jener Zeit im Aufbruch, sehr kühl zertifiziert.
Mit dem Juwel der Ausstellung wird allerdings gleich am Eingang geprunkt: eine Filminstallation mit Männern und Frauen dieser Ära, Interviews von Rouven Rech und Teresa Renn mit Daniel Cohn-Bendit (Revolteur), Gretchen Dutschke-Klotz (Frau von Rudi D.), Bahman Niroumand (Publizist und Organisator des Anti-Schah-Protests in der Bundesrepublik), Barbara Köster (Frauenbewegung der ersten Stunde), Silvia Bovenschen (Literaturwissenschaftlerin), Beate Klarsfeld (Kanzler-Kiesinger-Ohrfeigerin), KD Wolff (Gründer des Verlags Roter Stern) und Martin Dannecker (Sexualwissenschaftler, Autor des Drehbuchs zu "Nicht der Homosexuelle ist pervers …"). Was diese acht Personen erzählen, preisgeben, was sie erinnern, lohnt das vollständige Hinhören. Mit ihnen wird tatsächlich nachfühlbar, was damals drückte und behinderte. Vietnamkrieg, die allenfalls dienende Rolle der Frau, die Mackerhaftigkeit des Achtundsechzigermilieus - auch hierzu fallen Sätze. Berührend ist, wenn Bovenschen erzählt, dass sie sich vor dem Examen fragte, welchen Beruf es denn gäbe, in dem sie als Frau Hosen tragen dürfe; wenn Köster berichtet, dass ihr Vater ein Nazi und Tyrann war; Dutschke-Klotz anfügt, dass Wohngemeinschaften nicht als kulturelle Erweiterung nützlich sein sollten, sondern um besser Politik machen zu können; Niroumand erzählt, wie er, Muslim, traurig wurde, weil niemand in seiner WG am 24. Dezember an Weihnachten gedacht habe - er aber auf Kerzen und Tannenbaum bestand, weil es sich so gehöre. Das sind Statements, die tatsächlich taugen, Jüngeren eine Ära in Erinnerung zu rufen, die nicht einfach als "Da erzählen Oma und Opa …" daherkommen.
Eine Sequenz dieses knapp dreiviertelstündigen Films, dessen Schnipsel in Frankfurt so angeordnet sind, als ob die acht Redenden einander zuhören, kommt auf das Gefühl danach zu sprechen, auf die Zeit nach dem Furor. Manche sagen: Wir fühlten uns leer, gescheitert, Barbara Köster beispielsweise. Cohn-Bendit wie auch Dannecker aber: Nein, es hat sich gelohnt, nichts ist gescheitert, keine Leere, der Geist war aus der Flasche. Welcher genau? Dannecker, der 68 als Programm verstand, die Welt möge und müsse besser werden, nennt als wichtigste Qualität das Missachten von Autorität, von Macht.
Zugleich, hört man ihnen allen genau zu, wird der Größenwahn ermessbar, der sie offenkundig alle trug. Sie wähnten sich als Auserwählte mit ewiger Lizenz zum Gültigen: zeitgeschichtliche Träger, die in ihrer karikaturhaften Form als Gutmenschen ironisiert werden. Sie sind mit sich zufrieden, sie verströmen einen Blick der milden Nostalgie, der so etwas wie Stolz aufschimmern lässt. Sie haben ihren Erfolg offenbar langsam begriffen. Es gibt wohl doch ein richtiges Leben im Richtigen.
Die Familienfeier dauert also einen knappen Sommer noch. Danach darf wieder über Kleingedrucktes geredet werden. Und sei es nur der Punkt, weshalb das Gros der Achtundsechzigerszene sich von Götz Aly so sehr angepieselt fühlt, dass sie ihn schneiden, als sei er ein Arthur Koestler oder ein George Orwell. Allein: Gute Familien ertragen neue Befunde zur eigenen Geschichte mit Liebe, nicht mit Abspaltung.
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