68. Filmfestspiele Venedig: Da kriecht was unter die Decke
Von der Psychoanalyse und von den Geistern der Toten: neue Filme von David Cronenberg mit Keira Knightley und von Philippe Garrel mit Monica Bellucci.
Der Wettbewerb hat einen ersten Film, an dem sich die Geister scheiden: Auf Philippe Garrels "Un été brulant", "Ein brennend heißer Sommer", reagieren die einen mit Begeisterung, die anderen mit gehässigem Gelächter. Garrel erzählt in seinen Filmen - etwa in "Jentends plus la guitare" (1991) oder "Les amants réguliers" (2005) - immer wieder von Menschen, die an sich und an der Liebe scheitern.
In "Un été brulant" spielt Garrels Sohn Louis den Maler Frédéric. Der zerbricht daran, dass seine Frau (Monica Bellucci) ihn eines Filmregisseurs wegen verlässt. Godards Film "Le mépris" weht wie ein fernes Echo durch den Film, und Garrels in diesem Jahr verstorbener Vater Maurice hat einen letzten Auftritt als eine Figur aus dem Jenseits. Der alte Mann erzählt, wie er als Résistance-Kämpfer einen Angriff der Deutschen überlebte, weil der Lauf seiner Pistole die heranfliegende Kugel des Feindes auffing. Seinen Enkel Frédéric reißt die Geschichte vom glücklichen Zufall nicht aus der Trauer heraus. "Un éte brulant" will keine Distanz zu dem Schmerz dieser Figur, der Film will die Empfindung in ihrer ganzen Tragweite vermitteln, und das ist ein Wagnis. Umso berührender, wenn es gelingt.
Dieses Wagnis setzt sich im nächsten Film fort. Eine Frau windet sich in einer Kutsche, mühsam gehalten von drei Männern, sie tobt und wird in eine psychiatrische Anstalt bei Zürich eingeliefert. Das ist die erste Sequenz von David Cronenbergs Wettbewerbsbeitrag "A Dangerous Method". Es ist das Jahr 1904, Sabina Spielrein (Keira Knightley), später selbst Analytikerin und eine wichtige Ideengeberin für Sigmund Freud und C. G. Jung, zeigt alle Symptome dessen, was damals Hysterie genannt wurde; bei Jung (Michael Fassbender) wird sie in Behandlung gehen. In einer der ersten Sitzungen erzählt sie von ihrer Angst, wenn sie nachts nicht schlafen kann. Sie ist dann fest davon überzeugt, nicht allein zu sein; ein Weichtier kriecht zu ihr ins Bett und presst sich unter der Decke gegen ihren Rücken.
Amorph und schleimig
Vor 15 Jahren hätte ein Film von Cronenberg vermutlich genau das gezeigt: das Weichtier, amorph und schleimig, und den nackten Rücken der Frauenfigur. Doch in "A Dangerous Method" gibt es solche Bilder nicht. "A Dangerous Method" verhält sich zu früheren Filmen Cronenbergs wie die Psychoanalyse zu den Symptomen, die sie bändigt. Das Formlose, Ungestalte, zwischen Tier und Mensch und Maschine Changierende, das in "eXistenZ" oder "Naked Lunch" aufscheint, ist in ein reifes, makellos inszeniertes period piece überführt.
Hat man sich damit einmal abgefunden, entdeckt man einen erstaunlich komplexen Film: Den intellektuellen Konflikt zwischen Jung und Freud (Viggo Mortensen) macht Cronenberg ebenso plastisch wie die zeittypischen Vorstellungen von Moral und Geschlechterrollen. Selbst von dem traurigen Umstand, dass Spielrein 1941 in ihrem russischen Heimatort von den Nazis ermordet wurde, erzählt sein Film.
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