54. Eurovision Song Contest in Moskau: Angst vor der erneuten Blamage
In Moskau treten wieder 25 Länder musikalisch gegeneinander an. Deutschland landete in den letzten zwei Jahren nur auf den letzten Plätzen, weshalb die Angst vor einer erneuten Blamage groß ist.
MÜNCHEN afp | Kann die am Boden liegende deutsche Fan-Gemeinde des Eurovision Song Contest (ESC) strahlend auferstehen? Oder wird sie in Europa erneut bis auf die Knochen blamiert? Selten war die Verunsicherung so groß wie vor dem diesjährigen Wettbewerb. Zwei Jahre nach dem enttäuschenden 19. Platz von Roger Cicero und ein Jahr nach dem Debakel der No Angels als Letzte tritt am Samstag "Alex swings Oscar sings" für Deutschland an. Mutig strebt der Macher der Band, Alex Christensen, nach einer Platzierung unter den Top Ten. Eine Änderung der Abstimmungsregeln erhöht immerhin die Chancen darauf.
Im vergangenen Jahr sorgte außer dem desaströsen Auftritt der No Angels vor allem das Abstimmungsverhalten für großen Ärger. Die osteuropäischen Staaten schoben sich in der Telefon-Abstimmung gegenseitig die Punkte zu, die westeuropäischen Staaten schauten dumm aus der Wäsche. Nach der Änderung der Regeln ist damit Schluss.
Die vom Vorgänger des ESC, dem Grand Prix d'Eurovision, bekannte Jury feiert in diesem Jahr eine überraschende Rückkehr: In jedem Teilnehmerland werden nun fünf Experten mit abstimmen. Damit setzt sich die Punktzahl für einen Song jetzt zur Hälfte aus den Anrufen und zur anderen Hälfte aus dem Expertenentscheid zusammen.
Aber ob damit das in den vergangenen Jahren für viele deutsche Fans unerträglich häufige "Germany: Zero points" ein Ende hat? Wie der Leiter der deutschen Delegation in Moskau, Manfred Witt, sagt, gab es schon in den vergangenen Jahren im Hintergrund Jury-Entscheidungen. Diese wären veröffentlicht worden, falls die Telefon-Abstimmung in den Ländern etwa aus technischen Gründen nicht funktioniert hätte.
Eine Auswertung dieser Jury-Entscheidungen habe ergeben, dass auch bei diesen das gleiche Land wie in der Telefon-Abstimmung gewonnen hätte. Aber es habe sich auch gezeigt, dass viele westeuropäische Länder besser platziert worden wären. Aus deutscher Sicht ist dies kein Trost: "Was aber noch passiert wäre, ist, dass die deutsche Platzierung sich kaum verändert hätte."
Vielleicht auch deshalb hat der NDR in diesem Jahr kurzerhand den deutschen Beitrag bestimmt und sich nicht mehr auf den Geschmack des Publikums verlassen. Die Reaktion auf das Gespann aus Alex Christensen und dem in München lebenden Kalifornier Oscar Loya und ihren Song "Miss Kiss Kiss Bang" fiel zurückhaltend bis negativ aus.
Christensen hat aber als Produzent international bewiesen, dass er ein Händchen für Hits hat. Mit der Techno-Hymne "Das Boot" war er 1992 in 22 Ländern auf Platz 1 der Charts. Christensen produzierte die Bands Bro'Sis und Right Said Fred, schaffte mit dem frechen "Du hast den schönsten Arsch der Welt" vor zwei Jahren in Deutschland einen Nummer-1-Hit und mischte auch bei "Deutschland sucht den Superstar" mit.
"Miss Kiss Kiss Bang" ist bei den Wetten im Vorfeld des Wettbewerbs bislang eher unter ferner liefen, vor allem der im ersten Halbfinale auftrumpfenden Türkei wird für Samstagabend eine Favoritenrolle zugeschrieben. Allerdings hat der NDR in diesem Jahr deutlich mehr Anstrengungen als in der Vergangenheit unternommen, den deutschen Beitrag im Ausland bekannt zu machen. Außerdem wurde die Inszenierung des Auftritts durchgeplant wie noch nie. Und mit der US-Stripperin Dita von Teese ist die "Miss Kiss Kiss Bang" leibhaftig auf der Bühne.
Für die ARD-Fernsehzuschauer dürfte der diesjährige Wettbewerb, in dem Kult-Moderator Peter Urban wegen einer Hüft-Operation passen muss, einige Reize haben. Ausrichterland Russland steckt 30 Millionen Euro in die Show und damit so viel wie noch kein Gastgeber zuvor. Allerdings hat der Auftritt in Russland auch eine politische Note: Georgien wurde im Vorfeld wegen seines Protestsongs gegen den Krieg mit Russland im vergangenen Jahr disqualifiziert. Der Titel "We don't wanna put in" kann dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin nun nicht mehr die Laune verderben.
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