3sat-Themenwoche „SehnSucht“: Ein Schuss im Elternhaus
In „Höllentrips“ erzählt 3sat die Geschichte des drogenabhängigen „Spiegel“-Journalisten Jörg Böckem. Es geht um die, die trotz ihrer Sucht in der Gesellschaft bleiben.
Bei Arte gibt es die Themenabende, der andere länderübergreifende Kultursender zelebriert ganze Themenwochen. Seit Donnerstagabend sendet 3sat insgesamt 22 Filme zum Thema „SehnSucht“.
Es geht nicht nur um Wunschvorstellungen, sondern auch darum, wie aus einer Sehnsucht eine Sucht werden kann, wie das zusammenhängt. Es werden Spielfilme gezeigt von Max Ophüls und Aki Kaurismäki, Dokus über Computerspielsucht, Kaufsucht, Alkoholsucht – „Der Trinker“ mit Harald Juhnke – und, natürlich: Drogensucht.
Zum Beispiel „Höllentrips“ am Sonntagabend. Die Filmemacherin Wilma Pradetto, die bereits den Auftaktfilm der sinnigerweise am Himmelfahrtstag begonnenen Reihe beisteuerte – „SehnSUCHT“ –, hat in Hamburg gedreht, noch im alten Spiegel-Bau an der Brandstwiete, am Meer, in Wohnungen, unterwegs, lässt zwei Menschen erzählen, die ihre Drogensucht hinter sich gelassen haben, mehr oder weniger. „Dabei war für mich vor allem interessant, zu erfahren, wie man süchtig sein kann und dabei trotzdem ’funktioniert‘ “, erklärt Pradetto ihre Absicht.
Es geht ihr also gerade nicht um die kleinkriminellen Junkies am Rande der Gesellschaft, außerhalb der Gesellschaft. Es geht ihr um die, die trotz ihrer Sucht in der Gesellschaft bleiben, am Rande der Gesellschaft. Die trotz der Drogensucht irgendwie ein im Alltag sozial adäquates Verhalten auf die Reihe kriegen. Die ihre nicht sozial adäquate Sucht verheimlichen – müssen – und ergo nicht darüber sprechen können, eigentlich. „Die Protagonisten zu finden hat eine lange und intensive Vorbereitungszeit in Anspruch genommen“, wird Pradetto im Pressedossier zitiert.
Nun ist einer ihrer beiden Protagonisten der Zeit- und Spiegel-Journalist Jörg Böckem – nach ihm kann die Filmemacherin nicht allzu lange gesucht haben, eigentlich. „Lass mich die Nacht überleben“, „Danach war alles anders“, „Freitags Gift“ heißen seine seit 2004 erschienenen Buchtitel, auf Spiegel Online hat er ein öffentliches „Therapie-Tagebuch“ geführt.
Der Homepage seines Verlages ist zu entnehmen, dass der „Bestsellererfolg“ des ersten Buches „von der Bavaria verfilmt“ werde. Die Selbstentblößung in Pradettos Dokumentarfilm kann Böckem nicht allzu viel Überwindung gekostet haben, eigentlich. Sie ist sein Geschäftsmodell. So eignet seinen Ausführungen – einen Off-Kommentar gibt es in Pradettos Dokumentarfilm übrigens nicht – etwas irgendwie Redundantes, Penetrantes, Selbstgefälliges. Er sagt das alles nicht zum ersten Mal, er ist kein Schauspieler, jedenfalls kein guter.
Interessanter, authentischer wird es, wenn er bei seinen Eltern zu Hause in Erkelenz auf dem Sofa Platz nimmt. Wenn die Mutter, ehemalige Arzthelferin, immer den Tränen nahe, erzählt, wie der dazu selbst nicht mehr fähige Sohn von ihr, der Mutter, verlangt hat, dass sie, die Mutter, ihm die Heroinnadel setzt. Im Elternhaus.
„Höllentrips“: 3sat, Sonntag, 20. Mai, 21.55 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben