32. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Der Sympathisant
Ein Exilruander aus einer prominenten Familie macht im Zeugenstand klar, wie sehr die FDLR dem bewaffneten Kampf gegen Ruanda verpflichtet ist.
STUTTGART taz | H. ist ein vielseitiger Mensch. Der Exilruander ist technischer Angestellter an der Bundeswehruniversität München, er ist Neffe eines sozialdemokratischen ruandischen Parteiführers aus der Zeit vor dem Völkermord, er kommentiert gerne und leidenschaftlich die Ruanda-Berichterstattung der taz auf deren Webseite.
Und er ist nach eigenen Angaben "Sympathisant" der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), deren Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni jetzt in Stuttgart wegen Kriegsverbrechen vor Gericht stehen und mit denen er regelmäßig in Kontakt stehe.
Für einen Sympathisanten belastet H. bei seiner Vernehmung am OLG Stuttgart am 17. Oktober die Angeklagten ziemlich schwer, vor allem FDLR-Präsident Murwanashyaka. Die FDLR bekenne sich zum bewaffneten Kampf und verschleiere die Herkunft und Finanzierung ihrer Waffen.
Täter des Völkermordes von 1994 gehörten zu ihrer Führungsriege. Die FDLR habe die Losung ausgegeben: "Wir sind im Kongo, aber wir werden in Ruanda ankommen". Bei einem Treffen in München im Jahr 2006 - dem Jahr der ersten freien Wahlen im Kongo - habe Murwanashyaka gesagt, dass die FDLR in der Lage sei, in Ruanda einzumarschieren und es militärisch zu bezwingen; man suche dafür nach kongolesischen Verbündeten.
Der politischer Arm sei von Kongos Regierung unter Präsident Joseph Kabila gewollt worden, Murwanashyaka daraufhin Präsident geworden, als "Sprecher für die positiven Seiten der Organisation". Nur zur Frage, ob Murwanashyaka tatsächlich militärische Befehlsgewalt gegenüber den Feldkommandanten der FDLR im Kongo innehat, äußert sich der Zeuge ausweichend.
Die exilruandische Opposition arbeitete laut H. quer über Parteiengrenzen gut zusammen, zumal dieselben Personen in immer neuen Gruppierungen auftauchten. Es wurden Spenden für die FDLR gesammelt. Die Waffen der FDLR aber seien nicht über die Spenden finanziert worden; dies habe H. von Straton Musoni erfahren. Von Spenden unterstütze man Schulen und kaufe man Bücher, aber Raketen seien dadurch nicht finanzierbar.
Der Lebensweg von H. zeigt die Widersprüche der ruandischen Politik auf. Hs Onkel war Félicien Gatabazi, der einstige Gründer und Führer der Sozialdemokratischen Partei (PSD), eine der Parteien, die in Ruanda nach Legalisierung des Parteienpluralismus 1990 entstanden war.
In den Jahren 1993-94, als in Ruanda nach mehreren Jahren Bürgerkrieg zwischen der Hutu-Regierung von Präsident Juvénal Habyarimana und der Tutsi-Rebellenarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) von Paul Kagame ein Friedensabkommen ausgehandelt worden war, sollte Gatabazi Minister in der vorgesehenen Allparteienregierung samt RPF-Beteiligung werden, deren Einsetzung von mächtigen radikalen Hutu-Politikern im Umfeld des Präsidenten massiv bekämpft wurde.
Am Abend des 21. Februar 1994, einen Tag vor einem geplanten Termin zur Regierungsbildung, wurde Gatabazi ermordet. Die Spannungen stiegen, die Folge ist bekannt: nach einer erneuten Einigung zur Regierungsbildung wurde Habyarimana am 6. April selbst umgebracht und Armee samt Hutu-Milizen begannen mit der planmäßigen Ausrottung der Tutsi, um mit ihnen die Macht nicht mehr teilen zu müssen, und jener Hutu, die der Zusammenarbeit mit Tutsi verdächtigt wurden - nur um schließlich von der RPF nach Zaire (heute Kongo) vertrieben zu werden und dort später die FDLR zu gründen. Die PSD existiert in Ruanda bis heute.
1994 waren die PSD wie auch die breite Öffentlichkeit sich sicher, dass Hutu-Extremisten Gatabazi ermordet hatten, um den Friedensprozess zu sabotieren - wie auch Habyarimana später. Jetzt sagt H., er habe im Jahr 1998 von RPF-Dissidenten erfahren, dass die RPF seinen Onkel ermordet habe - wie auch RPF-Dissidenten heute gerne die RPF für Habyarimanas Ermordung verantwortlich machen.
Die politische Loyalität scheint den Blick auf die Geschichte und auf Politik Ruandas zu bestimmen. Die Aussage Hs lässt erkennen, wie konstitutiv dies auch für die Identität der FDLR ist.
Zum Abschluss des Verhandlungstages werfen Telefonüberwachungsprotokolle Murwanashyakas ein weiteres Schlaglicht auf Michel Habimana, den im Februar 2009 nach Ruanda übergelaufenen Sprecher des militärischen FDLR-Flügels FOCA, von dem beim vorigen Verhandlungstag ausführlich die Rede war.
In einem Gespräch mit dem langjährigen Vermittler der italienischen katholischen Gemeinde Sant'Egidio, Pater Matteo, übt Murwanashyaka am 4. Januar 2009 scharfe Kritik an Habimana, der für Aktivitäten ohne Erlaubnis "schon oft bestraft" worden sei. Der FDLR-Präsident sagt, er habe Habimana befohlen, den Kontakt zum kongolesischen Kirchenvermittler Kuye einzustellen; Kuye habe sich an ihn, Murwanashyaka, zu wenden.
Das Telefonat erfolgte zwei Wochen vor Beginn der gemeinsamen ruandisch-kongolesischen Militäroperation "Umoja Wetu" gegen die FDLR im Ostkongo im Januar-Februar 2009, die die Miliz empfindlich schwächte und während derer Habimana die Reihen der Miliz verließ. Dass es zu dieser Militäroperation kommen würde, war Murwanashyaka am 4. Januar 2009 klar.
"Die Regierung in Kinshasa bereitet eine militärische Operation gegen die FDLR vor" und suchten dafür Verbündete unter lokalen Milizen im Ostkongo, berichtet der FDLR-Präsident. "Das ist wirklich dumm", erwidert der Italiener Matteo. "Die Kongolesen haben diese Option akzeptiert", sagt Murwanashyaka. "Aber das wird nicht funktionieren. Denn von allen Treffen erhalten wir alle Informationen."
Redaktion: Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich