■ 32. Internationale Sicherheitskonferenz in München: Warum solche Eile?
Die Sicherheitskonferenz (alias Wehrkundetagung) in München hat den Vorteil, daß sie das Personal einer erweiterten Nato-Tagung versammelt, ohne zugleich das offizielle Ritual berücksichtigen zu müssen. Alle sind da, sämtliche Äußerungen werden aufmerksam registriert und dennoch kann man deutlicher sagen, wo man hin will. Aus diesem Grund darf der Nato-Generalsekretär in München ungehemmter als in Brüssel seinen Bosnien-Frust öffentlich machen und ungestraft behaupten, daß an der Misere der Nato in Bosnien natürlich die UNO schuld sei. Und aus demselben Grund wurde in München offener über die Zukunft der Nato geredet, als dies die Sprache der Kommuniqués zuließe. Das Fazit der Münchner Debatte: die grundsätzliche mentale Krise der Allianz hält an.
Die Kritik an der UNO beweist nur, daß die westliche Militärallianz trotz aller „Out of area“-Einsatzphantasien eine neue Rolle noch längst nicht gefunden hat. Von wem wurde die Nato denn gehindert, in Bosnien ihr „friedenspolitisches Potential“ voll auszuschöpfen? Schließlich sind die Nato-Mitglieder (außer Rußland und China) identisch mit den Mitgliedern des Weltsicherheitsrates. Es lag nicht in erster Linie an Rußland, sondern an der Unfähigkeit der „westlichen“ Mächte, sich zu verständigen, wenn es zu keiner kohärenten Bosnien-Strategie kam. Bosnien zeigt auch, daß die immer wieder beschworene „Schicksalsgemeinschaft“ zwischen Westeuropa und USA so nicht mehr besteht. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat die Geographie wieder stärkeres Gewicht. Weder in Haiti noch in Bosnien entscheidet sich das „Schicksal der freien Welt“. Es geht um jeweils regionale Konflikte, die die USA oder Westeuropa ganz unterschiedlich betreffen. Angesichts dieses Hintergrundes wirken die Diskussionen über die „Osterweiterung“ der Nato wie der letzte Versuch, noch einmal zusammenzukitten, was schon längst in Scherben liegt. Durch die Einverleibung Osteuropas – bestärkt durch das heftige Drängen der Objekte dieser Inkorporierung – versucht sich die Nato ihrer Sinnhaftigkeit erneut in Abgrenzung zu Rußland zu versichern. Allen Beteuerungen des Wunsches nach langfristig kooperativen und freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland zum Trotz: Die Nato-Erweiterung schafft eine neue Abgenzungslinie in Europa und beendet die Zwischenphase seit 1989. Die Nato, so wurde in München betont, müsse schnellstens das Vakuum auffüllen, das der Warschauer Pakt seit seinem Exitus hinterlassen hat.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die gegenwärtige interne Situation Rußlands den Aufbau einer neuen gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation unmöglich macht. Aber warum diese Eile? So chaotisch die Situation in Rußland ist, so wenig bedrohlich ist sie beispielsweise für Polen. Noch könnte man den Prozeß in Europa offen halten. Statt dessen wird eine historische Chance verspielt. Jürgen Gottschlich
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