■ 30.000 Urwaldbäume für Berlin: Bauherr Neandertaler
Unter dem Motto „Betreten erbeten“ lädt der Senat in diesen Tagen zur Besichtigung von Großbaustellen ein. Greenpeace ist dieser Einladung gefolgt. Unsere Umweltbilanz in Kürze: Von zukunftsweisender Architektur und Stadtplanung ist in Berlin derzeit kaum eine Spur. Zukunft wird vielmehr systematisch verbaut. So erfreuen sich Tropenhölzer fünf Jahre nach ihrem Verbot auf öffentlichen Baustellen ebensogroßer Beliebtheit wie Dämmstoffe, die die gefährlichen Fluorchlorkohlenewasserstoffe (FCKW) enthalten. Abgeordnetenhaus und Senat sehen tatenlos zu, wie Raubbauhölzer und Ozonkiller selbst im neuen Parlamentsgebäude, im Berlin Museum und im neuen Familiengericht in rauhen Mengen verbaut werden.
Erst vor wenigen Wochen wurde während der UN-Klimakonferenz der Schutz der Regenwälder erneut als eine der wichtigsten Klimaschutzaufgaben bestätigt. Für hauptstädtische Baustellen werden nach unseren Schätzungen allein in diesem Jahr über 30.000 tropische Urwaldriesen fallen müssen. Obwohl die Ozonschicht über Berlin in den Frühjahrsmonaten der letzten Jahre zeitweise bereits um bis zu 40 Prozent ausgedünnt war, baut Berlin munter weiter mit dem Ozonkiller FCKW. Wenn dieses umweltkriminelle Gebaren weiter wie ein Kavaliersdelikt behandelt wird, wundert es nicht, daß auch private Bauträger für ihre Renommierprojekte wie beispielsweise die neuen BMW-Niederlassungen am Kurfürstendamm oder die Friedrichstadtpassagen gern nach dem Teufelszeug greifen.
Bloß jedes tausendste Berliner Gebäude kann derzeit als klimaschonend bezeichnet werden. Die im letzten Winter von Greenpeace erstellten Infrarotaufnahmen dokumentierten, daß in Berlin nahezu flächenhaft für die Straße geheizt wird. Diagnose auch für die Verwaltungsgebäude von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU): Fleckfieber infolge schlechter Fassadendämmung. Wer in Berlin dagegen die Sonne ernten möchte, wird es auch in Zukunft schwer haben. Der Senat verwässert gegenwärtig einen Beschluß des Abgeordnetenhauses zur kostendeckenden Vergütung von Solarstrom. Dabei könnten bei einer Strompreiserhöhung von nur einem Pfennig pro Kilowattstunde bereits 30.000 Photovoltaikanlagen auf Berliner Dächern entstehen und mit dieser Nachfrage einen Innovationsschub und Preisverfall im Solaranlagenbau auslösen. Ohne den Druck der Umweltbewegung wird die Bewag eine Solareuphorie unter den Berlinern zu verhindern wissen.
Zum Nulltarif ist eine ökologische Stadterneuerung sicherlich nicht zu realisieren, häufig wird jedoch nicht einmal das wirtschaftlich Sinnvolle getan. Bereits für einen Aufpreis von nur zwei Prozent können inzwischen Häuser gebaut werden, die vier Fünftel weniger Energie verbrauchen. Humantoxikologie, Klima- und Ressourcenschutz müssen von der Baubranche endlich als Herausforderungen angenommen werden. Ökologische und baubiologische Belange dürfen nicht länger vermeintlichen ökonomischen Zwängen oder einer reinen Bauästhetik zum Opfer fallen. Schluß mit dem Bau steinzeitlicher Höhlen und Kohlendioxidschleudern. Carsten Körnig
Der Autor ist Klimaschutzexperte bei Greenpeace
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