3. OKTOBER: Festtag ohne Glanz
Ruhig ist die Einheitsfeier verlaufen, auch die Antideutschland-Demonstration am Samstag. Ein "Super-Wochenende" hatte Bürgermeister Jens Böhrnsen versprochen.
Aufs Bremer Wetter ist Verlass, am Einheits-Jubiläums-Wochenende. Sonntagvormittags gibts festlich bedeckten Himmel, laue 20 Grad und warme Worte: "Neuer Zusammenhalt in der Gesellschaft" wäre "nur möglich, wenn sich kein Stärkerer entzieht und kein Schwächerer ausgegrenzt wird", sagt Bundespräsident Christian Wulff. Und das heißt: Wahrscheinlich gibts ihn nie.
Zum Auftakt der zentralen Einheitsfeier aber sprüht am Samstag der Regen feinste Tröpfchen, nur durch die Dauer merklich, aber absolut in der Lage, Parkas und Lodenmäntel, Windjacken und Hoodies, Turn- und Lederschuhe komplett zu durchweichen: Er grenzt nicht aus, macht keinen Unterschied zwischen Jubelfreudigen und Demonstrierenden, putativ Krawallhungrigen und Bratwurstessern. Und selbst wenn er mal stoppt, der Regen, dann weht ein kühler Wind und über allem dräut der graue Himmel.
Schön ist das nicht, aber friedlich: Wie verloren huschen BesucherInnen über die Festmeile. Das Zündeln bei der Demo bleibt rar. Und auch die polizeilichen Sticheleien wirken matt: Jawoll, die Transparente dürfen nicht verknotet sein! Verknotete Transparente bedrohen die öffentliche Sicherheit! Da heißts Helme auf, da rückt der Kordon blitzschnell so dicht an die mit falschen Zwirbelbärten und Sonnenbrillen maskierten Bannerträger, als sollte es zu intimen Kontakten kommen, Küsschen oder Schläge. Womit ja doch gerechnet worden war.
Aber es bleibt ruhig. Zwar, der Abmarsch der Antideutschland-Demo verzögert sich um eine Stunde. Aber in der Wartezeit erhöht sich nur die Zahl der TeilnehmerInnen. Von etwas über 1.000 spricht die Polizei, aber das stimmt nicht: 232 Reihen zu jeweils mehr als zehn Personen sind zu zählen. Das ist eine Menge für eine radikal-linke Demo - also eine, die das System auch des gegenwärtigen Sozialstaats für verfehlt hält, weil seine "Gesellschaftsordnung" darauf beruhe, "Individuen und Staaten als Konkurrenten" gegeneinanderzuhetzen. So heißt es im 112-Seiten starken Exposé des veranstaltenden Bündnisses "… ums Ganze". Das reformuliert letztlich einen Befund Theodor W. Adornos, auch wenn der sich sprachlich nie auf die griffige Formel "Staat, Nation, Kapital, Scheiße" eingelassen hätte, die Demo-Aufruf und Transparente schmückt. Doch nicht mal deren Sinn teilt sich allen mit, und das liegt nicht nur am Polizei-Spalier: Ein paar Teenies etwa, die vom Shoppen aus der City kommen, hinterlässt die Demo schlicht ratlos. Ach ja, "da soll ja doch so ne Feier sein, wegen der Einheit", fällt einem der Mädchen dann doch ein. Sie hält einen Flyer vom Delmenhorster Kartoffelfest in der Hand. "Ja wollen die, dass wieder so ne Mauer aufgebaut wird?", fragt sie. Ihre Freundinnen kichern. Ähnlich hatte auch Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) reagiert: "Es gibt gar keinen Grund gegen die Einheit zu demonstrieren", hatte er gesagt. "Wir feiern, dass Menschen ganz mutig gewesen sind in der DDR."
Ach, wenns denn darum ginge! Aber der 3. Oktober vollendet historisch nur die Überführung der unkontrollierten Widerstands-Dynamik von 1989 in ein administrativ-beherrschtes Geschehen. Er war dafür eigens ausgeguckt worden - weil unbelastet. Und deshalb "fehlt eine emotionale Bindung der Bürger an den Tag", resümiert die Soziologin Franziska Siebert in ihrer frisch vorgelegten Untersuchung der Einheitsfeste. Andere, wie Staatsrechtler Rolf Gröschner fordern gar die Streichung des Feiertags. Schließlich sei "der Verzicht auf das Volk bei der Bestimmung des Tages" bloß "realpolitische Konsequenz des Verzichts auf das Volk bei der Herstellung dieser Einheit" gewesen.
Umso größer ist stets der Ehrgeiz, die gute Laune mit Festwurst und Nena doch noch zu erzwingen. Ein "Super-Wochenende" hatte Böhrnsen verheißen. Vier Millionen Euro hats gekostet. In der Überseestadt stehen deshalb ein Brandenburger Tor aus Kunststoff und ein Riesenrad. Und am Sonntag marschieren Spielmannszüge durch die Stadt, in altmodischen Uniformen, und ihr Rhythmus ist der Zweiviertel-Takt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite