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■ Schäfer für Umweltschutz und Wandertradition:2.500 Schafe ziehen durch Madrid

Madrid (taz) – Zartes Schellengeläut in der Calle Alcalá – hier tobt normalerweise der mörderische Straßenverkehr Madrids achtspurig. Vorwitzig rupfen einige Samtnasen am sorgfältig bewässerten Rasen des Mittelstreifens. Diesen Sonntag morgen passieren über 2.000 Merinoschafe die Metropole. Von den Sommerweiden im Norden Spaniens kommend, treiben die Hirten ihre Schafe in Richtung Estremadura.

Seit Menschengedenken haben Hirten Vieh im Sommer in die regenreicheren Zonen der nördlichen Gebirge geleitet, um im Winter in den warmen Süden zurückzukehren. Die uralten, traditionellen Wege führen sie heute mitten durch das Zentrum von Madrid. Die Wegerechte sind ihnen verbrieft – seit dem 13. Jahrhundert und König Alfons dem Weisen. Dem erzkonservativen, autofreundlichen Bürgermeister Alvarez del Manzano bleibt nichts weiter übrig, als sie willkommen zu heißen. Mit dem Hirtenstab in der Hand setzt er sich an die Spitze des Zuges und läßt sich feiern. Den Schafen, die nun fast 3.000 Kilometer zurückgelegt haben, ist das gleichgültig. Sie folgen eben ihrem Leithammel.

Die Stiftung Europäisches Naturerbe betreibt seit drei Jahren zusammen mit einigen spanischen Viehzüchtern und unterstützt von der Europäischen Union das „Projekt 2001“. Gemeinsam setzt man sich dafür ein, daß die Wanderweidewirtschaft, bei der vor fünfzig Jahren noch fünf Millionen Stück Vieh bewegt wurden, wieder zum Alltag der Viehhaltung werden kann. Das ursprünglich 125.000 Kilometer lange Wegenetz ist durch Straßenbau, Staudämme und widerrechtliche Nutzung sehr reduziert und an vielen Stellen unterbrochen. Zwar hat die spanische Regierung letztes Jahr ein Gesetz zum Schutz und zur Wiederherstellung der Wege erlassen. Aber solange keine finanziellen Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden, wird es bei den Lücken und Löchern im Wegenetz bleiben.

Dabei weisen die Veranstalter immer wieder auf die vielfältigen ökologischen Vorteile einer Reaktivierung hin. Die im Sommer staubtrockenen Weiden der Estremadura werden vor Überweidung geschützt, Wasser kann eingespart, teure Zufütterung überflüssig werden. Die Beweidung der Wege erfüllt wichtige Brandschutzfunktionen, und wenn sie die Naturschutzgebiete Spaniens verbinden, würde ein grüner Tourismus, zu Fuß, zu Pferd oder auf dem Fahrrad gefördert werden.

Die alten Männer, die schon lange bei der Plaza der Göttin Cibeles darauf gewartet haben, daß die Schafparade sie passiert, meckern über diejenigen, die ihnen die Sicht auf die hübschen zweijährigen Wollieferanten versperren. Derweil erzählen sie sich von den Zeiten, in denen sie selbst als Buben noch Vieh gehütet haben. Die torkelnden Jugendlichen, die bereits seit Samstag nacht auf den Beinen sind, fangen schon mal mit dem Schäfchenzählen an.

Familienväter quälen Kind und Schaf mit Fotoaufnahmen, und so manchem trübt ein Hauch von Sentimentalität ein wenig den Blick. Daß es zu viele Autos gibt, darüber sind sich alle einig. Die Rolle des Autos als Status- und Kultobjekt wird in der spanischen Gesellschaft jedoch erst von wenigen einzelnen in Frage gestellt.

In der Madrider Innenstadt haben nicht nur Schafe mehr Schutz nötig. Fahrradfahren taugt nur für Lebensmüde; Mütter wuchten beim Überqueren der Straße den Kinderwagen samt Kind über die dicht an dicht geparkten Autoreihen. Rollstuhlfahrer bleiben lieber gleich zu Hause. Alfons der Weise würde sicher auch mal an sie gedacht haben. Christine Laufersweiler

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