piwik no script img

25 Jahre KirchenasylZwischen Gott und Gesetz

Vor 25 Jahren gewährte die Heilig-Kreuz-Gemeinde das erste Kirchenasyl. Jetzt rüsten sich christliche Flüchtlingshelfer für die Zukunft - noch immer klopfen Menschen in höchster Not an Kirchentüren.

Es ist der Herbst des Jahres 1983, als der Nahostkonflikt die Kirche zum Heiligen Kreuz erreicht. Vor der Tür des Gemeindehauses in Kreuzberg stehen drei Familien mit Gepäck und Matratzen. Sie suchen Schutz vor der Abschiebung in die kriegs- und bürgerkriegsgeschüttelte Region. Pastor Jürgen Quandt öffnet die Türen des Gemeindehauses - und holt damit das alte Prinzip der Gastfreundschaft aus Antike und Mittelalter in die deutsche Gegenwart.

"Als vor 25 Jahren die ersten Familien bei uns in der Kirche Asyl fanden, war mir nicht bewusst, welche Konsequenzen diese Entscheidung haben würde - es war das Betreten gesellschaftspolitischen Neulands", sagte Quandt am Freitagabend vor etwa 200 Gästen der Tagung "Unter dem Schatten deiner Flügel … - Zuflucht in Europa?" in der Kirche zum Heiligen Kreuz. Veranstalter war die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG). An dem historischen Ort kamen am Wochenende christliche Flüchtlingshelfer aus Deutschland und einigen europäischen Staaten zusammen, um auf ein Vierteljahrhundert Kirchenasyl zurückzublicken - und sich auf einen möglichen Ansturm Schutzsuchender vorzubereiten.

Das Kirchenasyl bietet Menschen Schutz, die bei einer Abschiebung Menschenrechtsverletzungen zu erwarten haben. Neben Unterkunft und Verpflegung unterstützen die Gemeinden die Asylsuchenden vor allem in rechtlichen Angelegenheiten. Bis heute suchten über 3.000 Menschen in Kirchen Schutz vor Abschiebung - oft erfolgreich.

Derzeit leben nach Angaben der BAG mehr als 50 Menschen im Schutz von Gotteshäusern, meist unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ende 2009 aber läuft die Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländer aus. Wer von den etwa 180.000 unter die Regelung fallenden Flüchtlingen dann einen Job vorweisen kann, hat Glück gehabt. Für Alte, Kranke, Arbeitslose aus dieser Gruppe verschlechtert sich der Status: Sie müssten dann wieder in größerer Angst vor Abschiebung leben, erklärt Bernd Mesovic von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Er spricht von "zahllosen Härtefällen" und sieht voraus, dass sich Betroffene "in ihrer Not an die Kirchengemeinden wenden".

Eine Welle gleichzeitiger, gleichartiger Fälle können und wollen die Kirchengemeinden aber nicht bewältigen. Sie wollen einzelnen gefährdeten Menschen Schutz bieten - und nicht als Korrektiv einer verfehlten Migrationspolitik dienen. Den christlichen Helfern wäre es lieber, der Staat erließe Gesetze, um Menschen in Not sicheren Schutz zu gewähren. "Ich weiß nicht, ob ich Ihnen ein 50-Jähriges wünschen soll", sagte Vize-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in seiner Festrede. Er forderte "eine abgestimmte europäische Asylpolitik für die würdige und solidarische Behandlung von Flüchtlingen".

Weil der Staat diese menschenwürdige Politik in den vergangenen 25 Jahren aber oft schuldig blieb, brachte er die Flüchtlingsaktivisten in die Klemme zwischen Gott, Gewissen und Gesetz. "Es ging damals auch um die Frage: Wem schulden wir Gehorsam, wenn das Handeln des Staates uns zweifeln lässt", erinnert sich Quandt.

Dass diese Frage ihre Berechtigung habe, davon sei er auch heute noch überzeugt, sagt der Pfarrer und stellt den Tagungsteilnehmern die Familie Hammoudeh vor. Vor 25 Jahren fanden sie in der Kreuzberger Kirche Asyl. Über ein Jahr lang dauerte ihr Kampf um ein Bleiberecht. Am Ende gewannen sie - dank der kirchlichen Unterstützung (siehe unten). Heute leben sie in Neukölln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!