24 stunden spreebogen, folge 8 : Von 7 bis 8 Uhr
Ach sieh an, die Kollegen vom Fernsehen. N 24 baut schon mal eine Kamera auf, in die die Korrespondenten mit dem Kanzleramt als Hintergrund ihre Einschätzungen sprechen können. Wie immer sieht das in der Realität viel irrealer aus als auf dem Bildschirm. Zugleich läuft hinter der Kamera – also später nicht im Bild – eine hübsche Springbrunnenperformance an. Wenn die Korrespondenten nur einige Zentimeter an der Kamera vorbeisehen, blicken sie auf sprudelnde Fontänen. Aber kaum anzunehmen, dass das stete Wasser ihre steinharte Konzentration bricht. Sobald sie läuft, entwickelt so eine Kamera ja eine Macht, die alles andere ausblendet. Steht sie frühmorgens noch außer Betrieb herum, wirkt sie aber nur wie ein interessanter Gegenstand unter vielen.
Einige hundert Meter weiter geht nun auch das normale Leben los. Dafür ist hier im Regierungsviertel die „Bundesschlange“ zuständig – die sich auf einem Spreegrundstück schlängelnde Wohnanlage mit knapp 500 Zwei- und Dreizimmerwohnungen, die erst nur an Bundesbedienstete vermietet werden sollten, dann aber bald für den öffentlichen Wohnungsmarkt freigegeben wurden. Ein älterer Mann steht am weit geöffneten Fenster und trinkt noch schnell ein Glas aus. Auf der Rückseite des Gebäudes gibt es einen Laden mit Zeitungen und Kaffee. Drei Männer hatten keine Lust, Frühstück zu machen, und sitzen jetzt hier. Und in der angrenzenden Anne-Frank-Grundschule treffen die ersten Schüler ein.
Den Rest der Stunde verschwende ich damit, die „Reste eines verwilderten Robinienwäldchens“ zu suchen, die ein Erklärschild im Park rund um die Bundesschlange verheißt. Als ich es kurz vor Schluss identifiziere, sind es vier Bäume inmitten von hohen Brennnesseln. Aber ein wirklicher Urwald würde auch gar nicht passen. Das Regierungsgelände hat eine andere Romantik als die der Ursprünglichkeit. DIRK KNIPPHALS
Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 8 bis 9 Uhr: wegen Dienstreise erst am Samstag, den 7. Juli