24 stunden spreebogen, folge 7 : Von 6 bis 7 Uhr
Von dieser Stunde an ist man hier also nicht mehr allein. Der Eingang zum Paul-Löbe-Haus ist offen, die Durchleuchtungsanlage für Besucher mit Wachmännern bereits besetzt – ob sie aber wirklich schon wach sind, ist eine andere Frage. Einer gähnt ausgelassen, gerade als ich an der Glasfassade vorübergehe. Wäre zum Beispiel Wolfgang Schäuble schon zu so früher Zeit zufällig vorbeigekommen, hätte es wohl, denkt man sich beinahe automatisch, einen Anschiss gesetzt. Auch die Kinderbetreuung für die Abgeordneten kann demnächst losgehen. Eine Erzieherin werkelt mit ihrem Schlüssel an der Tür zu dieser mammalen Bundestags-Kita mit den busig geratenen Rundungen auf dem Dach. Und in so manchem Abgeordnetenbüro wird Staub gewischt.
Die Servicekräfte des Regierungsviertels machen sich mit ihrer Frühschicht also bereit. Die Infrastruktur muss stehen, wenn gleich die ersten Volksvertreter, Lobbyisten und Büroleiter kommen. Ein wenig wirkt das Gelände so, als ob bei einer Theateraufführung schon mal der Vorhang hochgegangen ist, aber immer noch einige Bühnenarbeiter an der Kulisse herumwerkeln. Als Zuschauer kann man dann noch schnell nach der bequemsten Sitzposition suchen.
Zwei Erkenntnisse der vergangenen Nachtspaziergänge gilt es noch auszubreiten, bevor es endgültig ernst wird mit dem Regieren. Zum einen wurde in den vergangenen Wochen jedes Mal, wenn ich hier rumlief, der Rasen gesprengt. Auch bei Sturm, Regen und Gewitter. Wirkt natürlich etwas übermotiviert, vor allem bei Regen. Den natürlichen Bewässerungsmöglichkeiten scheint man bei der Gartenpflege auf diesem Gelände jedenfalls nicht recht zu trauen.
Zum anderen soll nicht unerwähnt bleiben, dass mir die Fußgängerampel vor der Gustav-Heinemann-Brücke zuletzt große Freude bereitet hat. Sie reagiert sehr schnell. Man kann sich ein näherndes Fahrzeug ausgucken, dann schnell auf den Ampelknopf drücken, dann aber einfach nicht bei Grün über die Straße gehen. Bringt Spaß, wenn man es drei-, viermal hintereinander macht. Autofahrer, die sinnlos bei Rot an einer Ampel warten müssen, können zu nachtschlafender Zeit wirklich sehr seltsam gucken. Eine nachträgliche Entschuldigung an alle Betroffenen! Irgendwie muss man die Zeit ja rumkriegen. Außerdem wirkt das Regierungsgelände des Nachts, wenn es von seiner Funktion entlastet ist, auch wie ein großer Spielplatz. Als neulich einmal gerade eine dieser schwarzen Bodyguards-Limousinen vorbeifuhr, habe ich mich allerdings nicht getraut.
DIRK KNIPPHALS
Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 7 bis 8 Uhr: am kommenden Samstag