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Archiv-Artikel

24 stunden spreebogen, folge 13 Von 12 bis 13 Uhr

Vielerlei geschieht. Im Garten der Schweizer Botschaft werden Tische, weiße Zelte und eine Bühne für ein Sommerfest aufgebaut; der neue Anbau des Gebäudes ist mit roten und weißen Glühlampen geschmückt, die, wenn sie nachts leuchten, die Schweizer Flagge ergeben werden. Die große Wiese vor der Botschaft zum Hauptbahnhof hin ist leider gesperrt. Einige Männer in schlecht sitzenden dunklen Anzügen sitzen auf Klappstühlen und lesen B. Z., offensichtlich Sicherheitspersonal. Andere Männer hantieren in der Mitte der Wiese an etwas herum, was ich erst nicht erkennen kann. Dann erzählt ein vorbeikommender schwäbischer Tourist seinem Sohn, dass da gerade ein Feuerwerk vorbereitet wird. „Fire and Fun“ solle es heißen, sagt der Mann. Die englischen Ausdrücke klingen in seinem Dialekt erstaunlich hochdeutsch.

Das mit der gesperrten Wiese ist schade. An ihrem Ende, wo die beiden Betonbalustraden sich treffen, hat man einen schönen Panoramablick. Potsdamer Platz, Charité, Hauptbahnhof, Siegessäule – die Regierungsgebäude inmitten der großen Stadt; jedem Stadtneurotiker geht da das Herz auf. Vielleicht stellt ja irgendein Filmregisseur hier während des Feuerwerks eine Kamera auf. Dann fehlte nur noch eine passende Musik, und er hätte einen Anfang wie in Woody Allens „Manhattan“.

Ersatzhalber gehe ich zur Wiese auf der Rückseite des Kanzleramtes. Schon häufiger sind mir hier Skulpturen aufgefallen, die ich mir nicht recht erklären konnte – behauene, große Steine, die in etwa die Anmutung dieser Figuren von den Osterinseln haben, auch hohe, schlanke Steinsäulen, die entfernt an Marterpfähle erinnern. Doch die archaischen Assoziationen sind grundfalsch. Nach einigem Suchen finde ich einen schon etwas verwitterten Stein, in den die Erklärung eingemeißelt wurde. „Symposion europäischer Bildhauer 1961–1963“, steht da, darunter Namen: Mach, Kosso, Prantl, Rischke, Wyss, Gaschl, Steiner usw. Eine inzwischen überholte Avantgarde hat sich hier also einmal getroffen. Schon interessant, was man in 40 Jahren über das Kunstwerk, das das ganze Regierungsviertel neben allem Funktionalen ja auch ist, sagen wird.

Weil dann erst einmal Pause sein wird, zum Schluss dieser Stunde noch eine Fahrradtour einmal die Spreepromenade hoch und wieder runter. Gegenüber dem Bundespresseamt steht ein afroamerikanischer Musiker und verabschiedet mich mit gekonnten Läufen auf seinem Sopransaxofon in den Urlaub. Ich bin sicher, dass ich ihn in vier Wochen wiedersehen werde. Er steht eigentlich immer hier, immer genau an demselben Fleck. Ein Bewohner des Regierungsviertels. Er war ganz in sein Spiel versunken. Sonst hätte ich ihn vielleicht unwillkürlich brüderlich gegrüßt. DIRK KNIPPHALS

Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 13 bis 14 Uhr: wegen Sommerferien erst wieder am 1. September