23. Internationale Tattoo Convention: Stacheln und Nadeln
Am Wochenende treffen sich rund 200 Tätowierer in Berlin. Eine von ihnen ist Daniela Marques aus Portugal. Eine Tattoo-Tour durch Kreuzberg.
Paul Limbach ist nervös. Der 23-jährige Münchner ist extra nach Berlin gekommen, um sich sein erstes Tattoo stechen zu lassen. „Ich habe das schon seit einem Jahr vor“, sagt der sportliche junge Mann. Zwei Skorpione sollen es sein, deren Stacheln ineinander übergehen.
„Meine Schwestern haben beide dasselbe Sternzeichen“, erklärt er. Am Abend zuvor hat er das Tattoo mit einem befreundeten Berliner Künstler bei einer Flasche Whiskey entworfen. Das Ergebnis bespricht er nun im Studio Kreuzstich in der Adalbertstraße mit der Tätowiererin Daniela Marques. Die ist gerade aus Portugal zu Besuch in Berlin.
Marques nimmt an der Tattoo Convention teil, die am Wochenende stattfindet – wollte aber ein wenig länger bleiben als die meisten ihrer 200 Kollegen aus der ganzen Welt. Während ihrer drei Wochen in Berlin arbeitet sie im Studio mit. Diesen „guest stop“ – also die Möglichkeit, für kurze Zeit in einer anderen Stadt zu arbeiten und sich so zu finanzieren –, hat sie über ein Tätowierer-Netzwerk bekommen.
„Um eine Stadt ein bisschen besser kennenzulernen, muss man eine Weile bleiben und die Atmosphäre auf der Straße schnuppern“, sagt sie. Das haben wir auch vor: Bei einem Spaziergang durch Kreuzberg soll Marques auch einen Blick auf die Tätowierungen von Berlinern und Berlinbesuchern werfen.
Ein verhunzerter Schweinekopf
Während Paul Limbach noch etwas isst, um für die Tattoo-Session gerüstet zu sein, treffen wir deshalb in der Oranienstraße auf Niklas Perlskog aus Schweden, der für ein paar Tage zum Feiern nach Berlin gekommen ist. Der 22-Jährige bereut schon eines seiner Tattoos: „Der Kopf von dem Schwein sieht Scheiße aus“, sagt er und zeigt verärgert auf seinen linken Bizeps.
Warum er sich die Sau hat stechen lassen, will er lieber nicht verraten. Aber er spricht über sein zweites Tattoo: Auf dem Unterarm trägt er ein großes Stück Käse mit fast noch größeren Löchern. „Ist doch lustig“, sagt Perlskog, der beruflich Käse verkauft, und grinst voller Überzeugung.
Daniela Marques kann sich das Lachen nicht verkneifen. Den verhunzten Schweinekopf müsse Niklas aber nicht den Rest seines Lebens mit sich rumtragen, sagt sie: Solche Tattoos könne man retten.
„Wir nennen das Cover-up oder Free Hand“, erklärt sie. Dabei wird ein Tattoo ganz oder teilweise mit einem neuen Tattoo überdeckt oder auch passend weitergestochen. „Die meisten Künstler trauen sich da nicht ran, weil das schwierig ist“, sagt Marques. Aber sie möge diese Herausforderung sehr gern.
Blumen überdecken die Jugendsünde
Ein Stück weiter sitzt ein Pärchen vor einem Imbiss und isst Hamburger mit Fritten. Laura Vaessen und ihr niederländischer Freund Wouter van Duijn haben sich neulich in Thailand ihre Jugendsünden überarbeiten lassen. „Mein chinesisches Schriftzeichen hat mich echt genervt“, sagt die 32-Jährige. „Dauernd haben mich die Leute gefragt, was es bedeutet.“
Blaue und orangen Blumen überdecken nun das alte Tattoo und ziehen sich bis auf die Schulter hinauf. „Gut gemacht“, sagt Marques: „Die kräftig strahlenden Blüten wirken richtig gut auf der schneeweißen Haut.“
Wouter van Duijn erzählt die Geschichte zu dem Tattoo auf seiner rechten Schulter: „Ich war 1999 als Soldat im Kosovokrieg“, sagt er. Kurz darauf habe er sich das Emblem der KFOR-Soldaten auf den Oberarm stechen lassen. Das mit einem Cover-up zu überdecken kam für ihn aber nicht infrage. Stattdessen hat er sich das Zeichen im Urlaub mit einem wellenartigen Muster umrunden lassen, aus dem zwei rote Blumen herausragen. Seiner Freundin gefällt es: „Eine steht für seine Eltern, die andere für mich“, sagt sie.
Auch Marques findet es gut: „Das Muster ist gut gemacht und harmoniert mit Wouters Körperbau“, sagt sie. Als Tätowierer müsse man sich mit den Menschen auseinandersetzen. Gerade bei Tattoos, die über Jahre weiterwachsen, sei das sehr wichtig.
Marques hat seit einem Jahr eine künstlerische Großbaustelle auf dem rechten Oberschenkel. Das Tattoo hat sie selbst entworfen. Sie hat Kunst studiert und danach eine Weile mit Body Painting Geld verdient. „Ich wurde für Hochzeiten, Geburtstage und Feten in Clubs engagiert“, erzählt sie.
Dann habe sie mit dem Tätowieren angefangen, weil sie ihre Kunst verewigen wollte. Zwischen ihrem Knie und dem Saum ihres schwarzen Minis sind die Umrisse einer Krone, eines geflügelten Diamanten, eines Rosenkranzes und einer flaumigen Feder zu erkennen.
Erste Versuche auf Orangen und Schweinefleisch
„Die Symbole stehen für meinen Wunsch, dass meine Arbeit den Menschen etwas wert ist“, erklärt sie. Die Krone bedeute Respekt, die Feder stehe für etwas Sanftes. „So möchte ich durchs Leben gehen“, sagt Marques. Gestochen hat sie ihre Tätowierung selbst. Wegen der Schmerzen sei es allerdings schwierig, dabei eine ruhige Hand zu bewahren. Zudem sei alles seitenverkehrt, weshalb sie immer in einen Spiegel schauen muss.
Die ersten Tätowierversuche hat sie auf Orangen und Schweinefleisch gemacht, bald danach eröffnete sie im portugiesischen Städtchen Cantanhede ihr eigenes Tattoostudio. Wenn sie wie jetzt für längere Zeit auf Tour geht, hat sie einen großen schwarzen Rollkoffer voller Materialien dabei: „Da sind Tätowiernadeln drin, Farben, meine Maschine, schwarze Gummihandschuhe, Plastikfolien und Klebeband“, zählt sie auf.
Die 23. Internationale Tattoo Convention findet vom 2. bis 4. August in der „Station Berlin“ statt. 200 internationale Tattookünstler stechen unter anderem traditionelle asiatische Tattoos, tragen einen Wettbewerb aus und bieten Seminare an. Freitag 14 bis 24 Uhr, Samstag 11 bis 24 Uhr, Sonntag 11 bis 19 Uhr, Luckenwalder Str. 4 bis 6, Kreuzberg. Tageskarte 19 Euro, Wochenendticket 36 Euro.
Zurück im Studio wartet schon Paul Limbach; er ist noch ein bisschen nervöser als vorhin. „Nicht einfach Schwarz, wie es jeder hat, sondern ein dunkles Rot“, wünscht er sich als Farbe für die Skorpione. „Kein Problem“, sagt Marques, holt ein kleines Fläschchen mit roter Farbe aus ihrem Koffer und gibt noch ein wenig Schwarz hinzu. „Wo möchtest du das Tattoo hinhaben?“, fragt sie. Limbach lässt sich einen Moment Zeit mit der Antwort und klopft sich dann auf die linke Seite: „Aufs Herz.“
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