piwik no script img

■ 22 Jahre nach Kriegsende immer noch keine AmnestieKein Frieden für Vietnam-Deserteure

Stockholm (taz) – „Ich komme mir manchmal vor wie der japanische Soldat, der 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf einer einsamen Insel im Stillen Ozean entdeckt wurde, überzeugt, daß der Krieg noch immer tobte.“ Robert Malecki ist einer der Vietnam-Friedenskämpfer, für die der Kampf nicht zu Ende ist. Die USA sind es, die weiterhin Krieg gegen ihn führen wollen.

Ende der 60er Jahre war der Kriegsveteran Malecki nach fünf Jahren Dienst in der US-Flotte politisch aufgewacht, engagierte sich gegen den Vietnamkrieg seines Landes und schloß sich einer organisierten Friedensgruppe an. Man stieg in Rekrutierungsbüros ein und vernichtete die Karteien, um Einberufungen zum Kriegsdienst zu verzögern. Kurz nach einem Anschlag auf den Napalm-Fabrikanten, den Chemiekonzern Dow Chemicals, bei dem dessen Datenbank mit allen Angaben über Auslandsgeschäfte zerstört wurde, griff die Polizei Robert Malecki und andere seiner Gruppe. Zwölf Jahre Haft lautete das Urteil. Nach 27 Monaten im Knast wurde ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet: Aufgrund von neu gefundenem Material sollte er Anschläge gegen ein Elektrizitätswerk und andere öffentliche Gebäude geplant haben. Drohung: 25 Jahre Gefängnis wegen Sabotage gegen den Staat. Noch vor der Urteilssprechung kam er auf Kaution kurzfristig frei. Er packte die Gelegenheit und die Koffer, um in Schweden Asyl zu suchen. Als eines der wenigen Länder hatte das Schweden Olof Palmes damals, trotz massiven US-Drucks, die Grenzen für Vietnam-Deserteure geöffnet. Malecki war einer von knapp tausend, die Aufnahme fanden.

Im Gegensatz zu den meisten anderen lebt Malecki noch immer in Schweden. Die vier Jahre nach Beendigung des Vietnamkrieges vom damaligen Präsidenten Jimmy Carter am 1. Januar 1977 bewilligte Amnestie für Kriegsdienstverweigerer bezog sich nicht auf die „Straftaten“, die Malecki vorgeworfen werden. Auch spätere Amnestierungs- und Begnadigungsaktionen ließen FriedensaktivistInnen seines Kalibers wohlweislich aus. Seine Familie in den USA konnte der jetzt 51jährige Malecki seit seiner Flucht 1972 nie mehr besuchen. „Auch jetzt habe ich kein Bedürfnis, wieder in den USA zu wohnen“, sagt der inzwischen schwedische Staatsbürger, „aber ich würde gerne meine Kinder und Enkelkinder besuchen.“ Doch das Pentagon ist nicht bereit, die damalige Anklage gegen ihn fallenzulassen. Eine Strafandrohung von bis zu 35 Jahren Haft schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm, sollte er seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzen. Das heißt, man hat ihm individuelle Prüfung zugesagt, falls er im Büßergewand um Gnade für seine damaligen „Jugendsünden“ betteln werde. Doch auch rückblickend sind seine Aktivitäten für ihn keine Jugendsünden und schon gar kein Grund, Reue zu zeigen.

Weil Robert Malecki glaubt, daß nach mehr als zwanzig Jahren im Exil die Zeit für eine umfassende Amnestie eigentlich reif sein müßte, hat er gerade einen Brief an Bill Clinton geschrieben. Anlaß: die offizielle Aufhebung des Handelsembargos gegen Vietnam. Zitat: „Wie willst Du es haben, Bill? Sollen nur Geschäftsleute und ,fat cats‘ einen glücklichen Schluß dieser Vietnam-Geschichte erleben? Es waren die, die am meisten an diesem Krieg verdient haben, und nun sollen sie augenscheinlich auch wieder reichlich am Frieden verdienen? Ist es nicht an der Zeit für eine allgemeine Amnestie für alle, die gegen den Krieg waren?“

Malecki wartet jetzt auf ein Antwortschreiben aus dem Weißen Haus. Ob tatsächlich der Vietnamkrieg, 22 Jahre nach Friedensschluß, vorbei ist? Reinhard Wolff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen