2.000 Anschläge: Hier jammert und winselt der Chefkulturverweser
■ „Familie? Freizeit? Gesundheit? Da fragt sich der wahre Bremer Hungerkünstler: Was'n das'n?“ Der Kulturmanager und Regisseur Carsten Werner nimmt Stellung zum taz-Interview mit dem Leiter der Kulturabteilung, Reinhard Strömer
„Das Kunststück zu sparen, ohne dass es wehtut, gelingt in Bremen genauso wenig wie andernorts.“ Mit dieser Zustandsbeschreibung hat sich der neue Leiter der Kulturabteilung, Reinhard Strömer, vor wenigen Tagen öffentlich zum Reform- und Sparalltag in seiner Behörde geäußert (vgl. taz vom 4. Dezember). Und er fuhr fort: Das habe zur Folge, „dass zu viele Einrichtungen zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel bekommen“. In unserer gestrigen Ausgabe hat die Galeristin Katrin Rabus auf Strömer geantwortet und ihn aufgefordert, als Partner der Kulturschaffenden aufzutreten. Heute nimmt der Regisseur und Kulturmanager Carsten Werner Stellung und empört sich vor allem über Strömers Formulierung, dass in der Kulturszene viele „Untote fortwesen“.
„Anderswo“, weiß Herr Strömer, setzt man „das Notwendige durch.“ Oder man sagt es wenigstens. Im Neuen Bremen flattern einem aus der Kulturbehörde via taz Krankenberichte ins Haus. „Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, aber es macht zusätzliche Arbeit.“
Nun denn: Ohgottogottogott! Das hab' ich nicht geahnt, wie schlecht es einem Bremer Kulturbeamten schon gehen kann, nach nur einem halben Jahr „Bremen neu erleben“. Der Kulturabteilungschef auf der Retourkutsche – genau da hat er uns gefehlt! Einer, der die vielen so positiven Seiten und Ecken unserer schönen, freien Hansestadt am Wasser gar nicht mehr wahrnimmt vor lauter, lauter Feinden und viel, viel zu viel Arbeit.
„Familie, Freizeit, Gesundheit, alles muss zurückstehen“, das kenn' ich doch! Aber der wahre Bremer Lebens- und Hunger-Künstler fragt sich natürlich: „Familie, Freizeit, Gesundheit? – Was'n das'n?“ Denn dem geht die Arbeit auch auf die Knochen – und zwar nicht „zunehmend“, sondern seit 10, 15, 20 Jahren ganz kontinuierlich (in denen noch nie ein Kulturverwalter nach meiner Familie gefragt hat, sowasaberauch).
Für unser Dilemma und für unsere Blödheit, in unserer schönen Heimatstadt immer wieder „zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“ anzunehmen (Geld ist gemeint, wofür man zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig arbeitet), nur um der Stadtkasse die meist höhere Sozialhilfe zu ersparen, um am Glanz des Aufschwungs wenigstens ein wenig teilzuhaben, den Gevatter Henning und seine tollen „besten Köpfe“ ja in den nächsten zwei, drei Jahren förmlich nicht nur verkörpern, sondern bestimmt auch irgendwie total positiv performen werden, bevor sie in Rente gehen, um dann nochmal „total spannend“ an der tollen neuen Privatuni zu studieren ... – für diesen blinden, blöden, tumben Glauben an das Gute in der Welt im Allgemeinen und den Sinn der Schönheit und der Kunst in unserem ganz besonderen Bremen, für diese törichte Schwärmerei unsererseits kann der Herr Strömer aus Wiesbaden natürlich nichts.
Und wo hier angeblich schon alle dabei sind beim pauschalen Dreckschleudern, „muss man“, muss der Kulturverwaltungschef Strömer auch mal ganz pauschal retournieren. – „Muss man?“ Wenn Herr Strömer sich und seine Arbeit über eine halbe taz-Seite darstellen darf, hält er es offenbar nicht für nötig, mal eine Vision rüberwachsen zu lassen, wenigstens mal „genau zu zielen“, eine kleine Idee zu offenbaren, gar zu „spezifizieren“, wie er das so gerne hätte. Könnte man ja mal zu müssen glauben, als Kulturamtsleiter mal zu sagen, wie man sich's wünscht, was man machen will und wird in dieser schönen Stadt. Könnte man auch mal verraten, welche Amputationen und Transplantationen in seinem Kulturlazarett vorbereitet werden, welchem seiner „Patienten“ denn nun Schmerzen zuzufügen wären, auf dass es den anderen Insassen, Halb- und Untoten dieser Krankenwelt viel besser ginge. Ein bisschen mehr als „Hoffnung“ dürfte schon sein beim kühnen, unerschrockenen Chefarzt. – Aber nein, er jammert, greint und winselt wie der Patient Kultur selbst; leidet, dass einem die Tränen kommen! Weil diese fiesen Untoten einfach „fortwesen“ (!), ihn genau wie die blöden Politiker (auf die zu schimpfen ist auch nicht so unpopulär, Herr Strömer!) nicht mal rasten lassen im rauhen Alltag der Kulturbürokratie, -verwaltung und -verwesung. – Statt dass diese untoten Kulturzombies, Beamtenblutegel, diese vor sich hin modernden Wiedergänger der Kunst die ziellose Aussichtslosigkeit ihres Treibens endlich einsehen und zielgenau freiwillig ins Gras beißen und bitteschön endlich endgültig verwesen!
Wir hatten ja sogar eine kurze Zeit geglaubt, gehofft, gebetet und gebangt, Herr Strömer möge ein kraftvoll zubeißender Vorbote des ganz bald allumfassenden Bremer Dauer-Power-Strahle-Frühlings werden. Dann haben wir ganz realitätsnah eingesehen, dass man sich auch als Vorbote natürlich erstmal einleben und umsehen, einarbeiten und reinfühlen muss in Bremens ganz speziellen Charme – und gerade, wer ganz aus Wiesbaden kommt, auch die Reise war ja weit und sicher sehr beschwerlich! So haben wir ihm auch seinen ersten Schwächeanfall im ansonsten allgemeinen Aufwärtstrend verziehen, in dem er irgendwas von kranken Patienten und aussichtslosen Todeskämpfen in unserer großen Kulturfamilie faselte.
Wenn er aber mittlerweile (ganz „pauschal“ übrigens!) von „Untoten“ stammelt, dann muss man sich jetzt aber ernsthafte Sorgen und Gedanken machen:
1. natürlich um den Herrn Kulturverwaltungsleiter, Chefkulturverweser Strömer, der schon so schlottert vor den vielen blutsaugenden Geistern und spukenden Gespenstern um ihn rum, dass seine messerscharfen Gedanken gar nicht mehr so zielgenau und spezifisch treffen, sondern ganz pauschal rumscharmützeln und rufschädigen in unserer kleinen Kulturhauptstadt des Nordens.
2. um das schicke neue Bremen-Image – oder sollen wir's ganz ohne „Space“ und „Ocean“ jetzt als wassernahe „Moorleichen- und Vampir-City“ an-gehen?
Und 3. und ganz ernsthaft um uns selbst, die Bremer Kunst-Ratten: Bevor wir immerhin gerade noch Untoten (!) jetzt hier zu Tode gejammert werden oder uns gar selbst zu Tode jammern, sollten wir nicht lieber die sinkende Stadt auf dem schnellsten Weg verlassen? Irgendwohin, wo natürlich auch wieder „Abendstunden und Wochenenden selbstverständlich zur unbezahlten Arbeitszeit rechnen“, wo natürlich auch wieder „alles zurückstehen muss, um die Kultur, der man sich verbunden fühlt, zu erhalten“, – wo wir trottelige „Wiedergänger der Kulturszene“ aber wenigstens geliebt, gehegt und gepflegt werden und nicht immer neu in windschiefen Wackelbildchen als „fortwesende Untote“ und ähnliches tituliert werden und nicht alljährlich mit gröbsten Horrorszenarien zu Tode erschreckt werden.
Bremen könnte dann immerhin endlich in Frieden werden, was es verdient und gerne wär': „Die ganze Stadt ein Weihnachtsmarkt“, so will's ja die Bremen-Werbung. Und hoch auf dem strahlend gelben Jahrmarkts-Wagen (oder notfalls auf Scherfs Gepäckträger): Retourkutscher Strömer als Chefjammerer an der Spitze der verbliebenen halbverblichenen Kulturjammerbeutel, im unerschrockenen und zielgenauen Nahkampf gegen die Plagegeister der Untoten.
Genau gezielt, Strömer: Ich hab' Ihnen bis heute nichts vorgeworfen. Jetzt werfe ich Ihnen Jammerei vor, aber o.k.: Patienten sind wir ja alle irgendwie. Doch für den „wesenden Untoten“, für den entschuldigen Sie sich bitte. Ganz zielgenau und spezifisch. Bei jedem, der sich in dieser Stadt um Kommunikation und Kooperation, um Solidarität und Streitkultur, um „Synergie“ und „Image“, um Dialog und guten Rat bemüht, sich um Geld, das Sie nicht ranschaffen, sorgt und um Argumente ringt, die Sie wohl nicht brauchen. – Sie kennen die gar nicht alle? Da helfen die einschlägigen Kulturinstitutionen sicher gerne mit ihren spezifischen Adressbüchern aus.
Und wenn das erst abgearbeitet ist, verraten Sie uns mal, wohin die Reise gehen soll in Bremens Kultur- und Kunstszene. Und danach reden wir dann mal zielgenau, spezifisch und namentlich Tacheles über Vollidioten und Faulpelze in Ihren und Untote, Halbgare und Hoffnungslose in unseren Reihen – wenn da mal nicht das Personalvertretungsgesetz und wieder so Pauschal-Ritter und Rächer der missverstandenen Kulturverwalter und -verweser vor sind! Und danach geh'n wir einen trinken und Sie könnten uns dann von Angesicht zu Angesicht sagen, wie beschissen es ist heutzutage als Kulturbeamter. Aber erst dann.
„Wo sind wir hier eigentlich?“, fragt meine Kollegin.
„Bremen hat die Kulturverwaltung, die Bremen verdient“, sagt Herr Strömer aus Wiesbaden. Tja. Bremen macht blau.
Carsten Werner
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