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2000 Anschläge – Die GastkolumneBüschen waarm

■ Warum der Bremer Kultursommer schon wieder leider ausfallen muß

Fürst Schmierkolben und seine Bruttoregistertonne erreichten das hochsommerliche Bremen am frühen Nachmittag. Der kalte Gerd und der junge Hegel hatten die Draisine genommen und waren bereits eine Stunde früher angekommen. Sie trafen sich auf dem schön gefegten Marktplatz. In der Hitze des Nachmittags lag er ausgestorben da. Nur ein geschmalzter Passant mit einer semmelförmigen Plastiktüte stand im Schatten der Bürgerschaft und tat sich leid. Nach einer Weile kam er heran und sagte, daß er einst ein Kaufmann gewesen sei, mit großem Kontor.

„Wo sind denn die anderen? fragte die Bruttoregistertonne.

„Wir haben Sommer, Madame“, antwortete der Passant traurig und entschuldigte sich. Die Vier machten sich auf, durchstriffen verlassene Straßen und querten dampfende, mit Hundekot bedeckte Plätze, auf denen sich hie und da regungslose Hanseaten mit angestrengten Gesichtsausdrücken und glanzfarbenen Shorts sonnten. Vor einem blieb Fürst Schmierkolben stehen und sprach mit dräuender Stimme: „Gefällt Dir der Sommer, mein Sohn?“ Eine gerötete Nase hob sich. „Büschen waarm“, näselte sie.

In einer Bude für Gesäßmöbel & Stadtentwicklung traf der kalte Gerd einen knippgesichtigen Werbefachmann. „Vor drei Wochen war erst Stadt-Fest“, Wütete der. ,,Da huldigen wir Männers den Brauereinen und urinieren in die Innenstadt. Ein Mekka der Oldiekapellen und Karaoke-Sänger“. Er hob den klugfrisierten Kopf. „Nur weil es die letzten zwei Jahre nicht geregnet hat, haben einige zugereiste Wirte vorgeschlagen, das Fest um einige Tage zu verlängern. Die haben keine Ahnung. In Bremen verläßt sich niemand auf den Sommer. Hier gibt es nämlich ein Agreement. Wir ignorieren das Wetter und dafür ignoriert das Wetter uns.“

Der junge Hegel zitierte ein Taxi herbei. Der Taxifahrer schwitzte triumphierend: „So ein Schietwetter. Woanners sind schon 38 Grad. Aber mehr wie 32 Grad schafft die olle Sonne bei uns nich'.“ – „Leben sie gerne in Bremen?“ flüsterte die Bruttoregistertonne. „Ja, klar. Und nich' nur ich. Die annern auch.“ Der kalte Gerd sah eine Ameise im Nasenloch des Taxifahrers verschwinden.

„Erst gestern hab' ich's in der Zeitung gelesen: Nach Hamburg, Berlin, Köln, Frankfurt, München, Freiburg, Karlsruhe, Hannover und Hameln ist Bremen die beliebteste Stadt Deutschlands“, nuschelte er und bremste. Im Kulturamt verwies ein frischmassierter Dezernent die Reisenden weiter an die Wirtschaftsbehörde, deren „Großspektakel-Phantasien bis Bassum gerühmt würden“. Doch bei besagter Behörde war heute Supervision.

So klopfte der junge Hegel zärtlich an die Theaterpforte und ein bohnenförmiger Mensch öffnete. „Wann sind Ihre Festspiele, Herr?“ – „Sie meinen?“ – „Im Sommer hält eine Stadt üblicherweise ihre Kulturfeste ab, erfindet Ereignisse, Zelebrationen, Spektakel.“ – „Wissen Sie, Bremen leidet von jeher kulturell sehr unter der Nähe zu Oldenburg.“ – „Und die jungen Wilden in der Stadt, die freien, die...“ – „Wer?“ – „Schon gut“, murmelte die Bruttoregistertonne.

Die Pforte fiel krachend ins Schloß. „Laßt uns sehen, was Bremerhaven bringt“, dröhnte Fürst Schmierkolben. Und die hohe Familie verließ diesen Ort, von dem der junge Hegel noch löblich zu berichten wußte, daß Victor Hugo ihn einst erwähnte in seinem vorletzten Roman.

Hans König

...arbeitet als Bühnenautor, Regisseur und Schauspieler in Bremen und Freiburg

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