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20 Jahre nach dem Rostocker PogromKinderlieder mit dem Präsidenten

Rostock will den rassistischen Pogromen von vor zwanzig Jahren gedenken. Dass auch die Einwohner damals mitgemacht hatten, werde vergessen, kritisieren linke Gruppen.

Hätten nicht auch die Nachbarn Beifall geklatscht? Ausgebranntes Zimmer im Wohnheim in Rostock (Archivfoto). Bild: dpa

BERLIN taz | Am 25. August wird Bundespräsident Joachim Gauck in seiner alten Heimatstadt erwartet. Der Anlass ist heikel: Er soll auf einer Gedenkveranstaltung reden, mit der Rostock zwanzig Jahre nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen im Stadtteil Lichtenhagen ein Zeichen der Versöhnung setzen will.

Dazu sind Vorträge und Debatten geplant, Fotoausstellungen und Filmprogramme, der Liedermacher Gerhard Schöne will mit Hunderten Kindern aus Rostock Kinderlieder aus aller Welt anstimmen. Doch jetzt ist ein Konflikt zwischen der Stadt und linken Gruppen aus dem Bundesgebiet ausgebrochen, wie man den Jahrestag begeht.

Ende August jährt sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. Vietnamesische Vertragsarbeiter waren damals in ihrem Wohnheim eingeschlossen, das von Rechtsextremisten in Brand gesetzt wurde – unter Beifall der ortsansässigen Bevölkerung, während die Polizei tatenlos zusah. Die Vietnamesen, darunter mehrere Babys, sowie ein ZDF-Team wären in dem Haus verbrannt, hätten sie sich nicht durch Flucht über das Dach ins Nachbarhaus retten können.

Eineinhalb Jahre hat Rostocks Integrationsbeauftragte Stephanie Nelles an dem Konzept gearbeitet. „Unser vorrangiges Anliegen ist es, die Rostocker Bevölkerung mitzunehmen und kulturelle Vielfalt als Bereicherung erlebbar zu machen.“ Das sei in Rostock nicht so selbstverständlich wie in Berlin, weil es nur wenige Zuwanderer in der Stadt gibt, sagt Nelles, die vor sechs Jahren aus der Hauptstadt an die Ostsee gezogen ist. „Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Rostocker mit Scham über die damaligen Ereignisse sprechen.“

Linke Gruppen haben ihre Zweifel, ob das genügt. Das Antifabündnis „Rassismus tötet“ aus Berlin nennt Joachim Gauck einen „Rechtspopulisten“ und hält ihn für den falschen Redner. Das bundesweite Bündnis „Lichtenhagen.net“ um den VVN-BDA, die Jugendorganisationen von SPD, Jusos und Solid sowie verschiedene Antifagruppen plant am 26. August, dem Jahrestag des Pogroms, eine Demonstration am Ort des Geschehens. „Wir wollen deutlich machen, dass Rassismus noch immer in der Mitte der Gesellschaft verortet ist“, sagt Claudia Münster, die Berliner Sprecherin des Bündnisses. Hätten denn nicht auch die Nachbarn aus Lichtenhagen Beifall geklatscht?

Asylrecht ausgehöhlt

Ihr Bündnis tritt für eine andere Asylpolitik ein. „Der sogenannte Asylkompromiss von 1993, der das Grundrecht auf Asyl weit aushöhlte, war das Ergebnis des ausländerfeindlichen Pogroms“, sagt Münster. Statt den Opfern zu helfen, hätten die konservativen Innenpolitiker erklärt: Schaut, die Menschen wollen nicht so viele Asylbewerber.

Die Initiatoren mobilisieren bundesweit für ihre Demo und rechnen mit mehreren hundert Teilnehmern. Und sie sind verärgert über die Reaktion in der Stadt. „Unsere Demo ist nicht gewünscht. Es heißt, der Aufruf sei zu aggressiv formuliert“, klagt der Brandenburger Markus Günther, der die Linksjugend Solid vertritt. Es hätte auch Forderungen gegeben, zumindest nicht vor dem Wohnhaus zu demonstrieren, weil die Bewohner das nicht wünschten.

Und was sagen die dazu, um die es geht – Rostocks Vietnamesen etwa? Phuong Kollath war langjährige Vorsitzende des interkulturellen Vereins Dien Hong, der sich nach den rassistischen Ausschreitungen gegründet hat. Sie fühlt sich von den Veranstaltungen der Stadt angesprochen, den Ansatz der antirassistischen Gruppen will sie nicht bewerten. Sie selbst sei als Gast für eine Podiumsveranstaltung sowie als Zeitzeugin in einem Dokumentarfilm über das Pogrom angefragt worden. „Der Film soll bundesweit in der antirassistischen Arbeit in Berufsschulen eingesetzt werden. Das finde ich wichtig.“

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6 Kommentare

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  • Z
    zeitzeuge

    Also ich habe das Geschehen damals live verfolgt und finde das hier einiges verdreht und aus dem Zusammenhang gerissen wird.

    Und nur weil in Rostock Kameras waren wird es jetzt wieder aufgewärmt. Mölln war viel schlimmer, da Tote!!, allerdings ohne Kamera. Es ist nie auf die Urachen eingegangen worden und warum es dazu kommen konnte. Auch nicht über die Krawalltouristen aus den westlichen Bundesländern die hier Stimmung gemacht haben.

    Ich vermisse hier die Gedenkfeiern und die Ursachenforschung.

  • RD
    Rainer David W. Früh

    Schon vergessen, dass bei dem johlenden Mob nicht wenige SED-Mitglieder bzw. Anhänger dabei waren. Ach, ist verdrängen so schön. man kann eine ganz neue Geschichte schreiben und das schon nach zwanzig Jahren.

    Und der Unsinnschwätzer war damals nicht Helmut Kohl, sondern der damalige Innenminister R. Seiters!

  • RT
    Rassismus Tötet!

    Berlin 5.7.12

     

    Pressemitteilung der Kampagne „Rassismus tötet“

    zur Einladung des Bundespräsidenten nach Rostock-Lichtenhagen

     

    In Rostock wird es am 26. August eine zentrale Gedenkveranstaltung anlässlich des 20. Jahrestages der Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen geben. Initiatoren derselben sind die Stadt Rostock sowie die Bürgerinitiative „Lichtenhagen bewegt sich“, die nach wie vor relativierend von „Ausschreitungen“ und „Auseinandersetzungen“ spricht.

     

    Anliegen der Bürgerinitiative ist es nicht, gegen den gesellschaftlichen Rassismus vorzugehen, sondern lediglich das negative Image der Stadt aufzupolieren. Hierbei handelt es sich um eine Standortfrage, da viele potenzielle Touristen Rostock-Lichtenhagen immer noch als das sehen, was es ist: Eine Stadt, in der es möglich war, dass ein deutscher Mob aus niedersten Motiven ein Pogrom entfesseln konnte gegen jene 120 Menschen im Sonnenblumenhaus, welche schlicht nicht in ihr völkisches Weltbild passten. Seitdem hätte sich in Rostock viel getan, so die Initiative, es solle jedoch gemahnt werden. Zu diesem Anlass wurde nun der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck zum Gedenkakt eingeladen. Ein Bundespräsident, der angeblich wie kaum ein anderer für „Freiheit“ und „Versöhnung“ steht.

     

    Aber eben auch ein Bundespräsident, der den Rassisten Thilo Sarrazin „mutig“ nennt und ganz bewusst wieder von der Gefahr durch „Überfremdung“ spricht. Und nicht zuletzt ein Bundespräsident, der wie kein anderer gefangen in seiner eigenen Biographie, dafür steht, den Nationalsozialismus mit der DDR gleichzustellen. Entsprechend dieser Relativierung und Verklärung der Geschichte ist auch sein Weltbild zu erklären, eine Ideologie der Mitte, nach der alles was nicht gefällt, wahlweise auf rechten oder linken „Extremismus“ geschoben wird. Ein Bundespräsident also, unfähig zu erkennen, das die Ursachen des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen in der weißen Mehrheitsgesellschaft verankert sind. Auch heute ist es diese sogenannte „Mitte“ der Gesellschaft, welche tagtäglich Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe diskriminiert und sich je nach Bedarf entweder durch den Staat (Abschiebung) oder vom deutschen Mob verteidigen lässt.

     

    Wir als Kampagne „Rassismus tötet“ positionieren uns gegen diese nationalistischen und rassistischen Denkweisen und fordern daher den Rechtspopulisten und amtierenden Bundespräsidenten Gauck auf am 26. August zu Hause zu bleiben und nicht nach Rostock zu kommen. Darüber hinaus fordern wir die rassistischen Angriffe vom 22.-26. August 1992 als das zu bezeichnen was sie waren nämlich ein rassistisches Pogrom.

     

    Um der Forderung einer Anerkennung des Pogroms Nachdruck zu verleihen, werden wir gemeinsam mit mehreren tausend Antifaschist_innen und Antirassist_innen am 25. August 2012 in Rostock Lichtenhagen eine Gedenkdemonstration durchführen.

     

    Wir möchten uns kritisch mit rassistischer Gewalt gegen Migrant_innen und Flüchtlinge zu Beginn der 90er Jahre auseinandersetzen und auch die Folgen für Asylbewerber_innen damals wie heute thematisieren.

  • WR
    Weiße Rose

    Solange Nazi-Kanibalen weiterhin unbehelligt - von den zuständigen Behörden und der Justiz - das 4.Reich vorbereiten dürfen, brauchen wir derartige Heuchler-Veranstaltungen nicht!

  • G
    Gedächtnis

    Ich erinnere mich recht gut, dass mich besonders die Sympathie des damaligen Bundeskanzlers H.Kohl für die Täter empört hat. ("Das Boot ist voll")

    Erst als sich abzeichnete, dass die Wirtschaft unter der offensichtlichen Ausländerfeindlichkeit leiden könnte, schwenkte er um.

  • O
    oranier

    "Rostock will den rassistischen Pogromen von vor zwanzig Jahren gedenken"

    - Ach du liebe Grammatik "Rostock will DER rassistischen Pogrome von vor zwanzig Jahren gedenken"!

     

    Zur Sache:

     

    "Er soll auf einer Gedenkveranstaltung reden, mit der Rostock zwanzig Jahre nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen im Stadtteil Lichtenhagen ein Zeichen der Versöhnung setzen will."

    - Ein Zeichen der Versöhnung? Das Pogrom wurde offensichtlich zumindest von einem Teil der Rostocker Bevölkerung begrüßt und beklatscht, und eine antirassistische Demonstration ist offenbar unerwünscht.

     

    Aber eine der bekannten Betroffenheitsveranstaltungen soll versöhnen. Wen mit wem denn eigentlich? Haben die Täter um Versöhnung gebeten, und die Opfer "ein Zeichen" der Versöhnungsbereitschaft gegeben? Und was sind die Protagonisten der Politik, die gegen die asylbewerber gerichtet war und ist, bereit, als Versöhnungsopfer zu geben? Rücknahme der restriktiven Verschärfungen der Asylbestimmungen? Davon wird man wohl kaum etwas vernehmen. Großzügige und zügige Verbesserung der finanziellen Versorgung der Asylanträger? Darauf würden die Versöhnungsopfer wohl lange warten, wäre nicht das BVerfGer eigens dafür tätig geworden.

     

    Beschämend all dies: die Behandlung der Flüchtlinge durch Politiker, Behörden und "deutsche" Bevölkerung genauso wie solche scheinheiligen Gedenkveranstaltungen.