■ 20 Jahre nach dem Militärputsch in Chile: Blutiger Neoliberalismus
Augusto Pinochet ist noch im Amt. Der greise General, der vor 20 Jahren Chiles sozialistischen Präsidenten Salvador Allende aus dem Amt putschte, kommandiert nicht nur die Streitkräfte des Andenlandes, wie es die Verfassung vorschreibt. Er sorgt auch dafür, daß die von ihm während der Militärdiktatur eingeleiteten Wirtschaftsreformen nicht verwässert werden. Schließlich wird er für den Erfolg des Neoliberalismus weltweit gefeiert.
Wirtschaftswachstum wiegt schwerer als Menschenrechtsverletzungen. Die blutige Militärdiktatur des Generals, die Tausende von Chilenen das Leben kostete, wird heute nur noch von den Angehörigen der Opfer der Nation regelmäßig ins Gedächtnis gerufen. Angesichts von jährlichen Wachstumsraten von zehn Prozent verstummt jede Kritik. Chile ist, so das Wall Street Journal, der Tiger Lateinamerikas. Augusto Pinochet verfügt deshalb nicht nur in Chile über eine beträchtliche Zahl von Anhängern. Viele Länder Lateinamerikas starren neidisch auf den Wirtschaftserfolg des Nachbarn. Die Schlußfolgerung, daß eine eiserne Hand nötig ist, um die verworrenen Wirtschaftsverhältnisse auf dem Kontinent zu entflechten, liegt unausgesprochen in der Luft. Die Vereinigten Staaten hätscheln das Unternehmerparadies jenseits der Anden besonders. Im Gegensatz zu Brasilien, wo die Rodung des Regenwaldes regelmäßig zum politischen Skandal führt, wird die Abholzung der chilenischen Küstenwälder sowie die Vernichtung von Fischfanggründen wohlmeinend übergangen. Chile quält in- wie ausländische Investoren nicht mit einer komplizierten Umweltgesetzgebung, hohen Importzöllen oder gar starken Gewerkschaften wie etwa Brasilien. Das könnte ihm die Tür zur Nafta, dem gemeinsamen Markt der USA, Kanadas und Mexikos, öffnen.
Pinochet ist sich des internationalen Rückhaltes bewußt. Die Toten der Militärdiktatur sind für ihn ein unantastbares Tabu. Noch nicht einmal zu einer Geste der Versöhnung ist er am 20. Jahrestag des Putsches bereit. Die ermordeten Regimegegner bezeichnete er öffentlich als „Banditen“. Gegenüber den regelmäßig aufflammenden Protesten verschließt er Augen und Ohren. Denn er weiß: Auch 1993 würde ein Salvador Allende im Regierungspalast bei manchen „befreundeten“ Regierungen äußerst ungerne gesehen. Astrid Prange
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