173. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Musoni spricht
Zum ersten Mal seit Prozessbeginn äußert sich einer der beiden Angeklagten. FDLR-Vizepräsident Straton Musoni geht sachte auf Distanz zur eigenen Truppe
STUTTGART taz | Der Angeklagte strahlt übers ganze Gesicht. „Guten Morgen!“ ruft Straton Musoni in die Zuschauerbänke, als er am Morgen des 5. August wie immer in Handschellen in Saal 6 des Oberlandesgerichts Stuttgart geführt wird.
Sonst verlieren sich meist nur drei oder vier Dauerbeobachter des seit 2011 laufenden Kriegsverbrecherprozesses gegen die politische Führung der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Gerichtssaal. Jetzt sind immerhin 15 gekommen, um einem historischen Ereignis beizuwohnen: Zum ersten Mal überhaupt ergreift einer der Angeklagten das Wort zu seiner Verteidigung.
Bisher haben FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und der 1. FDLR-Vizepräsident Straton Musoni eisern geschwiegen, außer wenn Murwanashyaka selbst Zeugen befragte. Jetzt hat Musoni entschlossen, Rede und Antwort zu stehen.
Auf Deutsch verliest der 1961 geborene Ruander, der seit 1986 in Deutschland lebt, eine ausführliche Erklärung über seinen Lebenslauf, seine politische Laufbahn, seine Organisation und seine Sicht der Anklage gegen ihn. Musoni und Murwanashyaka sind angeklagt, als „militärische Befehlshaber“ grausame Kriegsverbrechen der FDLR an kongolesischen Zivilisten in den Jahren 2008 bis 2009 nicht verhindert zu haben.
„Ich bestreite alle Vorwürfe“, sagt Musoni. „Ich erkenne mich in der Anklage nicht wieder. So bin ich nicht.“
Berufliche Karriere in Baden-Württemberg
Der 51jährige schildert seinen Werdegang: Religiöse Erziehung, kleines Priesterseminar, Arbeit als Postbeamter in Ruanda, ab 1986 Studium in Deutschland. Die geplante Rückkehr nach Ruanda im April 1994 verhinderte der damals begonnen Völkermord an Ruandas Tutsi durch Hutu-Milizen und die damalige ruandische Armee. „Immerhin durfte ich problemlos mein Ticket zurückgeben“, erinnert sich Musoni.
Der Ruander wurde Computerfachmann in Baden-Württemberg und arbeitete unter anderem im dortigen Justizministerium. Zuvor vor Gericht erhobene Vorwürfe, er habe von dort aus mit der FDLR im Kongo telefoniert, weist Musoni jetzt zurück, obwohl er genau dies einst selbst am Telefon behauptet hatte: „Ich wollte angeben und den aktiven Draufgänger spielen, der sogar aus einem deutschen Ministerium aus anruft“, sagt er. „In Wahrheit war ich beschämt, dass ich nicht genug tat.“
Immer den Flüchtlingen verpflichtet
So stellt sich Musoni heute dar: Gewissenhaft, selbstlos, nur seinem Amt verpflichtet sowie der Hilfe für die ruandischen Hutu-Flüchtlinge im Kongo, zu denen auch zahlreiche seiner Angehörigen und Freunden zählten. Seine Oma sei in den Fluchtlingslager im Kongo an Cholera gestorben, sagt Musoni. Dem Gericht will er eine Liste mit 900 Namen von Bekannten übergeben, die als Flüchtlinge im Kongo getötet wurden.
Die Massaker an ruandischen Hutu-Flüchtlingen im Kongo 1996 hätten ihn davon überzeugt, dass die Flüchtlinge eine eigene Armee brauchen, um sich zu verteidigen, sagt Musoni. Ihm sei es immer nur um das Wohl der Flüchtlinge und eine politische Lösung gegangen. Krieg sei keine Lösung.
1994 war Musoni Mitgründer der Hutu-Exilorganisation „Akagera-Rhein“, ab 1995 war er Deutschlandvertreter der in den Hutu-Flüchtlingslagern im Kongo gegründeten Partei RDR (Sammlung für Demokratie und Rückkehr nach Ruanda) und schließlich Mitgründer der FDLR.
Warum die FDLR gegründet wurde
Die FDLR entstand am 1. Mai 2000 auf einem Kongress im kongolesischen Lubumbashi, „mit Unterstützung der kongolesischen Regierung“.
Damals war der Kongo noch geteilt: Im Westen, einschließlich der Hauptstadt Kinshasa, herrschte die Regierung Kabila, unterstützt unter anderem von den flüchtigen Tätern des ruandischen Völkermordes in der nach Kongo geflohenen einstigen ruandischen Hutu-Armee. Gemeinsam kämpften sie gegen im Ostkongo herrschende Rebellen, die von Ruandas neuer Tutsi-Regierung militärisch unterstützt wurden.
Ein Friedensprozess, wie er seit den Lusaka-Friedensgesprächen von 1999 in Planung war, hätte aber bedeutet, dass Kongos Regierung die ruandischen Hutu-Soldatennach Hause schickt - im Gegenzug dafür, dass Ruanda aus Ostkongo abzieht.
So brauchten die Hutu-Truppen, von Musoni „Spezialkräfte“ genannt, eine politische Vertretung, um ihre Interessen in Verhandlungen zu wahren. Die FDLR entstand also auf Initiative der ruandischen Exilmilitärs im Kongo und wird bis heute von diesen dominiert, stellt Musoni klar. Womit er gleichzeitig andeuten will, dass der Einfluss von Politikern in der Organisation eher gering ist.
Die Frage, ob die Hutu-Exilarmee nicht auch durch den Völkermord an Ruandas Tutsi Blut an den Händen hat, blendet er aus. Zu Beginn spricht er nicht einmal von Völkermord, sondern von „Eskalation“ und einer „prekären Situation“.
Später erklärt er den Gedanken hinter der FDLR-Gründung so: „Es ging nicht um eine Fassade, um die Beteiligung der Armee am Völkermord zu verschleiern. Sondern darum, Personen zu finden, die durch ihr Erfahrung, Reisemöglichkeit und Kommunikationsmittel in der Lage wären, politische Verhandlungen zu führen“.
Zu diesen Personen gehörte offensichtlich Musoni: Er, Murwanashyaka und ein Exilruander aus Belgien waren die einzigen ruandischen Exilanten aus Europa, die zur FDLR-Gründung in den Kongo reisten, bestätigt er auf Nachfrage. Die Anreise erfolgte über Sambia.
Musoni sagt auf Nachfrage auch aus, dass er in den Jahren danach die FDLR-Exilstrukturen in Europa aufbaute, bevor er ab 2004 1. Vizepräsident wurde. Er reiste 2001 erneut über Brazzaville in den Kongo. Er organisierte sogar, bestätigt er auf Nachfrage, einen Container voller Hilfsgüter für die FDLR: Computer, Kleidung, sogar zwei Fahrräder und ein Auto. Leider wurde der Container bei Ankunft im Kongo von einem Regierungsmitglied gestohlen, sagt er.
Mein Name ist Musoni, ich weiß von nichts
Für jemanden, der so früh eine so zentrale Rolle spielte, gibt Musoni sich aber in der Folgezeit als erstaunlich unwissend und machtlos. Er habe „kein Befehls-, keine Entscheidungs- oder Mitspracherecht“ gehabt, sagt Musoni. Verbrechen, wie sie die Anklage der Miliz vorwirft, habe er nie gehört und hätte es auch nicht für möglich gehalten.
Von Verbrechen der FDLR habe er zwar gelesen, zum Beispiel in der taz, aber „ich kann mich nicht erinnern, jemanden getroffen zu haben, der mir von Verbrechen der FDLR berichtete... die Schlussfolgerung (der Anklage), ich hätte alles wissen müssen, ist nicht richtig.“
Der militärische FDLR-Flügel FOCA (Forces Combattantes Abacunguzi) sei „souverän“ gewesen, erklärt Musoni unter ausführlicher Hinzuziehung relevanter Teile der FDLR-Statuten. Er als Zivilist habe dn Militärs nichts zu sagen gehabt. Den Präsidenten, also seinen Mitangeklagten Murwanashyaka, habe er nur in zivilen Angelegenheiten vertreten: „politische Mobilisierung, Diplomatie, Finanzen, Verwaltung“. Die Vertretung des Präsidenten in militärischen Angelegenheiten obliege dem 2. Vizepräsidenten.
Womit Musoni, ohne es offen zu sagen, auch bestätigt, dass Präsident Murwanashyaka eine militärische Fuktion hatte. Durch solche Aussagen und dadurch, dass er überhaupt aussagt, distanziert sich Musoni von seinem mitangeklagten Präsidenten, den er als „Freund“ bezeichnet und als „interessiert und engagiert“. Die beiden, getrennt nur durch einen Justizbeamten, würdigen sich an diesem Tag kaum eines Blickes.
Verbrechen verbieten
Nichts geahnt und nichts zu sagen gehabt zu haben hinderte Musoni aber nicht daran, im Januar 2009, kurz bevor Kongos und Ruandas Armee erstmals gemeinsam gegen die FDLR kämpften, vorzuschlagen, bei einem bevorstehenden Führungstreffen das „Verbot jeder Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung auf die Tagesordnung zu setzen“, wie er selbst aussagt.
„Mein Vorschlag war nicht Ausdruck etwaigen Misstrauens, dass es eventuell Menschenrechtsverletzungen geben könnte“, meint er aber. „Sondern ich wollte jegliche Kritik an FOCA im Keim ersticken.“ Der Vorschlag sei übrigens einstimmig angenommen worden.
Nur fanden die meisten der Verbrechen, die die deutsche Anklage der Miliz vorwirft, danach statt. Was genau hätten die in Deutschland lebenden politischen Führer tun können, um das zu verhindern? Diese zentrale Frage dieses Prozesses bleibt weiterhin ungeklärt.
"Ich distanziere mich von solchen Verbrechen"
Auf die Grundidee der FDLR lässt Musoni nach wie vor nichts kommen, wenngleich er wiederholt, dass er nicht mehr in der Organisation aktiv sei und zum Zeitpunkt seiner Verhaftung am 17. November 2009 sowieso kurz vor Ende seiner Amtszeit stand, die er auch nicht verlängert hätte. Er lobt die „Spezialkräfte“, die die FDLR gründeten, für „ihr Organisationstalent, ihre Disziplin, ihre Prinzipien, ihren Glauben an Gott“.
Den Vorwurf der Anklage, die FDLR wolle Ruandas Regierung stürzen und ein Hutu-dominiertes Regime errichten, kommentiert er: „Mit gleicher Berechtigung könnte man sagen, Ziel der Grünen sei es, die CDU/FDP zu stürzen, um das Land ins Mittelalter zurückzuversetzen.“ Sich selbst vergleicht Musoni als 1. FDLR-Vizepräsident mit dem deutschen Vizekanzler Philipp Rösler, der ja auch nichts zu sagen habe.
„Ob der FDLR insgesamt Vorwürfe gemacht werden können, kann ich nicht beurteilen“, sagt Musoni schließlich abschließend. „Wenn ich diese Gelegenheit bekomme, möchte ich davon profitieren, allen Opfern des Krieges im Ostkongo mein Mitleid und Mitgefühl auszusprechen. Ich hoffe, dass dies bald ein Ende findet und die wahren Täter bald zur Rechenschaft gezogen werden. Ich distanziere mich von solchen Verbrechen und verurteile diese. Ich habe dies bisher getan und werde dies in Zukunft weiter tun.“
Führungsrolle der Militärs - entlastend oder nicht?
Nach seiner Erklärung lässt sich Musoni vom Strafsenat befragen - Fragen der Bundesanwaltschaft wird er allerdings nicht beantworten, kündigt seine Verteidigerin Andrea Groß-Bölting an.
Der Vorsitzende Richter Jürgen Hettich stellt als erstes die naheliegende Frage: Warum haben Sie das alles nicht gleich zu Prozessbeginn gesagt? Weil mir nicht klar war, was mir eigentlich vorgeworfen würde, sagt Musoni. Nach einer Pause fügt er hinzu: Weil meine Verteidigung es mir geraten hat.
Im Laufe der Nachfragen ergeben sich interessante neue Einblicke ins Innenleben der FDLR. Die von Musoni betonte „Souveränität“ des militärischen Flügels FOCA habe bedeutet, dass die Militärs letztendlich den Kurs der gesamten Organisation diktieren konnten: In allen FDLR-Entscheidungsgremien seien 50 Prozent der Posten mit Militärs besetzt; bei Konsens unter den Militärs war damit die Linie auch der zivilen Politik festgeschrieben.
Den Militärs haben auch Murwanashyaka und Musoni ihre Ämter zu verdanken, sagt er. Nach einem internen Machtkampf samt Putschversuch, den Musoni auf 2004 datiert, sei Murwanashyaka nur dank des Gewichts der Militärführung an der Macht geblieben und Musoni sei auf seinen Vorschlag hin 1. Vizepräsident geworden, in Nachfolge seines zu den Putschisten gehörenden Vorgängers.
Man kann daraus, sofern man das alles genauso glaubt wie es Musoni sagt, den Schluss ziehen, dass die beiden zivilen Führer gar nicht in der Lage waren, den Militärs ihrer Organisation Anweisungen zu geben. Ob das eher entlastend oder eher belastend zu werten ist - darauf wird es jetzt ankommen. Musoni rechnet sich offensichtlich aus, dass zumindest er sich damit entlastet.
Vorwürfe „im Internet“ gegengeprüft
Richter Hettich will nun genauer wissen, worin eigentlich Musonis Arbeit ams 1. Vizepräsident bestand. „In welcher Weise haben Sie sich erkundigt, ob Vorwürfe gegen die FDLR stimmen oder nicht?“ fragt er. „Im Internet“, antwortet Musoni, zur allgemeinen Verblüffung. „Gegoogelt.“
„Über öffentlich zugängliche Seiten?“ fragt der Richter nach. „Google ist öffentlich“, erklärt Musoni, als habe er die Frage nicht verstanden. „Öffentliche Seiten wie taz, Monuc, Human Rights Watch“, führt er aus. „Aber nicht innerhalb Ihrer Organisation?“ fragt der Richter. „Doch“, sagt Musoni und kommt dann aber nur auf Gespräche zu sprechen, wo es um das Ausformulieren von Presseerklärungen geht.
Es wird noch eine Weile dauern, bevor dieser Angeklagte und dieser Senat wirklich zusammenfinden. Die Befragung wird am Freitag fortgesetzt. Dann geht das Gericht in die Sommerferien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich