: 1.300 Albaner in Botschaften
■ In der bundesdeutschen Botschaft haben mehr als 1.000 Albaner Zuflucht gesucht / Angeblich 20 bis 50 Tote in Tirana / Unklarheit über Ausreiseregelung für Albaner
Athen/Belgrad/Bonn (afp/ap/dpa) Über 1.000 Albaner haben inzwischen in der bundesdeutschen Botschaft in Tirana Zuflucht gesucht. Das teilte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Hanns Schumacher, gestern in Bonn mit. Die Angehörigen der Botschaft seien mit allen Kräften bemüht, unter diesen schwierigen Umständen eine Mindestversorgung der Flüchtlinge zu ermöglichen. Die Situation auf dem Botschaftsgelände sei „unter Kontrolle“.
Die albanische Regierung verweigert nach Angaben von Schumacher weiterhin die Landeerlaubnis für eine Lufthansa -Maschine, die Betten, Medikamente und andere Hilfsgüter nach Tirana bringen soll. Eine Begründung für die Landeverweigerung sei offiziell nicht gegeben worden. Die albanischen Vertreter erklärten lediglich, daß möglicherweise ohnehin bald eine Lösung gefunden werde und deshalb eine Versorgung nicht mehr notwendig sei.
Die albanischen Sicherheitskräfte behindern nicht mehr den Zugang zur deutschen Botschaft. Nach Schumachers Angaben befinden sich in der französischen Botschaft 120 Personen, in der italienischen Vertretung 60 Flüchtlinge und in der tschechischen sowie der polnischen Vertretung je 50 Personen.
Schumacher sagte, bei den Zufluchtsuchenden handele es sich um einen Querschnitt durch die Bevölkerung. Konkrete Wünsche der Flüchtlinge, speziell in die Bundesrepublik ausreisen zu wollen, lägen bisher nicht vor.
Schumacher teilte mit, daß die Albaner in der deutschen Botschaft von ihrer Regierung noch keine Pässe zur Ausreise aus ihrem Land erhalten hätten. Der Bonner Botschaft sei offiziell noch keine Lösung der Paßfrage mitgeteilt worden. Die Rechtslage sei aufgrund der öffentlichen Äußerungen der albanischen Behörden widersprüchlich. Das albanische Memorandum, das Anfang der Woche veröffentlicht worden sei, besage ausdrücklich, daß Pässe an Personen, die in Botschaften Zuflucht gesucht haben, nicht ausgestellt werden. Zu einer Erklärung eines albanischen Sprechers, das solle geändert werden, meinte Schumacher, dies sei bisher „keine offizielle Mitteilung der albanischen Regierung“.
Die albanischen Sicherheitskräfte haben nach Schätzungen diplomatischer Kreise in Tirana in der Nacht zum Dienstag zwischen 20 bis 50 Menschen getötet, die in die ausländischen Botschaften flüchten wollten. Das albanische Außenministerium hat diese Berichte dementiert.
Das offizielle Albanien blieb bei seiner Haltung gegenüber den Flüchtlingen. Der Direktor des albanischen Außenamtes, Bashki Dino, bezeichnete bei Gesprächen mit Diplomaten die Flüchtlinge erneut als „Rowdys, Vagabunden und Ex -Sträflinge“. In den offiziellen Zeitungen des Landes hat unterdessen eine Kampagne gegen die Flüchtlinge begonnen, in der sie als „Parasiten, Hooligans, Vagabunden und Abschaum der Menschheit“ beschrieben werden. Nach Angaben von Gewährsleuten strebt die albanische Führung jedoch eine schnelle, einvernehmliche Lösung an, da sie die beabsichtigte vorsichtige Öffnung nach Westen durch die Fluchtbewegung gefährdet sehe. Deshalb sei mit Ausreisegenehmigungen zu rechnen.
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