: 120.000 Menschen auf der Flucht
■ Waffenstillstand zwischen Kroatien und den Krajina-Serben geschlossen und gebrochen
(AFP/rtr/dpa/taz) – Der Krieg in Kroatien geht weiter. Trotz eines Waffenstillstandsabkommens nahm die kroatische Armee nach UNO-Angaben ihre Offensive gegen die Krajina-Serben gestern wieder auf. Am Morgen hatten die Krajina- Serben kapituliert. Auf Vermittlung der UNO war dann ein Waffenstillstand mit Kroatien ausgehandelt worden. Die Vereinbarung sah vor, daß die Krajina-Serben ihre schweren Waffen abgeben sollten und dafür nach Nordbosnien abziehen dürften. Zudem sollten 80.000 Flüchtlinge von der UNO aus der Krajina evakuiert werden. Doch schon um 11.30 Uhr erklärten die kroatischen Behörden die Vereinbarung für nichtig. Sie warfen den Serben „Doppelzüngigkeit“ vor. Die mit serbischen Flüchtlingen gefüllte Stadt Topuska, etwa 55 Kilometer südlich von Zagreb, geriet unter kroatischen Artilleriebeschuß.
Die Lage in der Region sei verzweifelt, sagte eine UN-Sprecherin in Zagreb. Tausende von Flüchtlingen seien nach dem Wiederaufflammen der Kämpfe im Kreuzfeuer eingeschlossen. Bosnische Regierungstruppen, die aus der Enklave Bihać vorstießen, hätten eine Evakuierungsroute für die Flüchtlinge abgeschnitten. Die UNO hatte entlang der Route Posten und Sammelstellen für die Waffen eingerichtet, die die Krajina-Serben abgeben sollten. Die bosnische Regierungsarmee hat nach UN-Angaben die Stadt Velika Kladuša, Hochburg des abtrünnigen Muslimführers Fikret Abdić, erobert.
Bosnische Serben griffen aus Vergeltung für die kroatische Offensive in der Krajina seit Sonntag mindestens fünf Ortschaften in Kroatien mit Kampfflugzeugen an, darunter eine Chemiefabrik. Auch in Ostslawonien lieferten sich Einheiten der kroatischen Armee und der Krajina- Serben weiterhin Kämpfe, die jedoch abflauten. Das Gebiet war nach Angaben der Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug am Sonntag unter Kriegsrecht gestellt worden. Die serbische Armee habe Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Pontonbrücken in das Gebiet verlegt.
Die Gesamtzahl der Flüchtlinge wird vom UN-Flüchtlingshilfswerk auf insgesamt 120.000 Menschen geschätzt. Diese Zahl bestätigte der UNHCR-Sprecher Ron Redmond in Genf. Auch ein UN- Sprecher in der kroatischen Hauptstadt Zagreb sagte, rund 80.000 Menschen seien aus der Krajina geflüchtet oder wollten die Region noch verlassen. Er wies damit die von den bosnischen Serben angegebene Zahl von 200.000 Flüchtlingen als „stark übertrieben“ zurück. Humanitäre Hilfsorganisationen in Banja Luka gaben an, über das Wochenende seien 40.000 Menschen in die nordbosnische Stadt geflohen. Unter den Flüchtlingen seien sowohl Zivilisten als auch Soldaten der Krajina-Serben. Nach Angaben des katholischen Bischofs von Banja Luka sind zahlreiche kroatische Bosnier aus der Stadt vertrieben worden.
Der Machtkampf zwischen dem politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, und Militärchef Ratko Mladić hat den Bruch zwischen Karadžić und der Führung in Belgrad offengelegt. Sowohl die Belgrader Presse als auch regierungsnahe Kreise machten gestern keinen Hehl aus ihrer Unterstützung für Mladić, nachdem dieser am Freitag von Karadžić für abgesetzt erklärt worden war. Hintergrund für den Bruch zwischen Belgrad und dem bosnischen Serbenführer sind offenbar Meinungsverschiedenheiten über die weitere Kriegsstrategie in Bosnien. Das selbsternannte Parlament in Pale hatte die Absetzung von Mladić gebilligt. 18 serbische Generäle hatten sich demonstrativ hinter Mladić gestellt. In mehreren Belgrader Zeitungen hieß es gestern, Karadžić sei so gut wie tot. Seite 8
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen