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Archiv-Artikel

100 tage schröder Amtszeit statt Reformperiode

Eigentlich bräuchten die Zeitungen die Bilanz des zweiten Schröder-Kabinetts, das seit 100 Tagen im Amt ist, gar nicht zu kommentieren. Schon am Wochenende haben die Wähler selbst das Wort. Und die Umfragen lassen kaum noch einen Zweifel daran, wie dieses Urteil ausfallen wird. So hoch schlagen die Wellen der Empörung, dass eine absolute CDU-Mehrheit sogar in der niedersächsischen Heimat des Bundeskanzlers für möglich gehalten wird.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Noch vor wenigen Wochen wurde wild darüber spekuliert, welche Konsequenzen ein solches Szenario für die rot-grüne Bundesregierung haben würde. Die Antwort lautet: gar keine. Denn der Kanzler, der im November und Dezember schon reichlich angeschlagen wirkte, hat sich mittlerweile auf die wichtigste Tugend seines Vorgängers besonnen – auf das Aussitzen.

Was hat Schröder von der erwarteten SPD-Niederlage am Sonntag schon zu befürchten – außer einem Dämpfer für den allzu kecken Kronprinzen Sigmar Gabriel? Im Bundesrat sind die SPD-regierten Länder schon jetzt in der Minderheit, und eine Zweidrittelmehrheit für die Union gäbe es auch bei einem Sieg in Niedersachsen nicht. Weitere Wahlen, auf die sich eine Schlappe in Hessen und Niedersachsen negativ auswirken könnte, sind vorerst nicht in Sicht.

Schröders Vorsatz, das angekündigte Fiasko an Main und Leine einfach auszusitzen, ist durchaus verständlich. So heftig waren die Ausschläge im Meinungsklima der vergangenen Monate, dass es einem Politiker schwer fallen muss, sie noch ernst zu nehmen. Erst riefen konservative Publizisten in maßloser Schwarzmalerei zur Revolution auf. Dann genügte das zweifelhafte Zinssteuer-Reförmchen, mit einem Machtwort durchgesetzt –, und schon wurde Schröder wieder als Macher bejubelt.

Die Wähler dagegen sollte Schröder ernst nehmen, und die ließen sich bislang weder vom Zinssteuer-Coup und erst recht nicht von der Neuauflage des Irak-Wahlkampfs beeindrucken. Mit Außenpolitik alleine lassen sich Wahlen auf die Dauer nicht gewinnen. Schon lässt das rot-grüne Lager durchblicken, vom kommenden Montag an gehe es mit Reformen und einer klaren Linie richtig los. Doch auf welche Debatte es Schröder wirklich ankommt, zeigte sich schon kurz nach der Bundestagswahl. Da verabschiedete sich der Kanzler schon mal ganz vorsichtig von seiner Ankündigung, zwei Wahlperioden als Regierungschef seien genug. Wie bei Kohl eben.

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