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■ 100 Tage KahrsKeine Notraketen

„Höchste Zeit für rote Notraketen!“ So dramatisch endet der kulturpolitische Kommentar in der jüngsten Ausgabe der „Zett“, dem Zentralorgan der freien Bremer Kulturszene. Anlaß: ein Interview mit Neusenatorin Bringfriede Kahrs. Vor rund 100 Tagen zog Kahrs, Scherfgetreue reinsten Wassers, für die Bremer Sozialdemokraten die Kulturpolitik an sich. Zentrale Äußerungen bisher: Haushaltskürzungen stehen auch in der Kultur an – der Finanzsenator fordert 10 Prozent aus allen Töpfen; „aufgabenkritisch“ soll die Szene daher durchgebürstet werden; und wenn nach dem Kürzen zuviel Substanz verlorengeht, „dann müssen einzelne Projekte sterben“. Zeit also für Notraketen – aber niemand, der sie zündet.

„Es herrscht eher eine Abwartehaltung: Hoffentlich trifft's uns nicht“, beschreibt Ralf Lorenzen vom Schlachthof die Stimmung unter den freien Kulturhäusern und -gruppen. Auch im Schlachthof selbst sei das nicht anders. Man ahnt zwar, daß es „total schädlich“ sein könnte, wenn nach einer Phase der Konsolidierung – eben erst hat das Kulturzentrum die Stufe der institutionellen Förderung erklommen – wieder Stellen gestrichen, Projekte gekappt werden müßten. Aber da niemand weiß, welche Prioritäten Kahrs eigentlich setzt, hält man still. Und tröstet sich: „Immerhin ist ja bisher nichts angezogen worden.“

Der „duck and cover“-Strategie folgt man auch im Medienzentrum Walle. Zwar gibt es die stille Absicht, bei der Senatorin die fehlende Bremer Filmförderung einzuklagen. Aber allzu laut möchte sich kaum jemand äußern: Könnte ja sein, daß dann dem Medienzentrum wieder was weggenommen würde, zum Ausgleich quasi.

Konkretes von Kahrs hat man auch in der Kunsthalle noch nicht gehört. Dort hält man sich allerdings lieber gleich an andere Adressen. Das Bürgermeisterpaar Scherf & Nölle selbst habe „positive Sigale“ gesendet, daß das Land Bremen seinen versprochenen Anteil zur Kunsthallensanierung leisten werde. Direktor Wulf Herzogenrath lobt überhaupt das „Engagement von Nölle und der CDU“ bis hin zur christdemokratischen Anchorfrau Elfriede Motschmann – kein Wort von Kahrs: Bei der SPD sei manche Idee ja vielleicht noch nicht angekommen.

Im Bremer Theater fielen inzwischen schon mal zaghaft rebellische Worte. Der Intendant persönlich verwahrte sich im Juli gegen die Kürzungsabmachungen der neuen Koalitionäre, verbunden mit dem dezenten, aber gezielten Hinweis, sowas verändere auch „die Geschäftsgrundlagen im Sinne meines Vertrages“. Will meinen: Spart nur – aber ohne mich. Der Vertrag nämlich sichert Pierwoß einen festen Etat über fünf Jahre zu. Sparen ließe sich demnach nur noch „unter Maßgabe von Vertragsverletzungen“. Und Rolf Rempe, Geschäftsführer des Hauses, legt in der eben erschienenen Theaterzeitung nochmal nach. „Schöne Grüße an alle, die uns an den Gürtel wollen“, hieß es da in selten gehörter Keckheit – eine der Grußadressen dürfte im neuen Senat liegen. tw

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