Kanzlerin in den USA: Merkels großer Auftritt
Beim Besuch in den USA bedankt sich Kanzlerin Merkel für deren Hilfe beim Fall der Mauer - und findet deutliche Worte in Sachen Afghanistan und Klima.
Zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag unter der Kuppel des Washingtoner Kapitols für die historische Unterstützung der USA bedankt: "Ich weiß, wir Deutschen wissen, wie viel wir Ihnen, dem amerikanischen Volk, verdanken. Niemals werden wir - niemals werde ich persönlich Ihnen das vergessen!", sagte Merkel unter tosendem Beifall in ihrer Rede vor dem Kongress, in der sie Dank und Ermahnung geschickt miteinander verband. Bemerkenswert großen Beifall erntete die deutsche Kanzlerin auch für ihre deutlichen Ausführungen in Sachen Afghanistan, Iran und der Sicherheit Israels. Und beim Thema Klima gab es sogar Bravo-Rufe.
"Das ist sehr bewegend, muss ich sagen", gab Merkel zu und schluckte, als sie mit fast 15-minütiger Verspätung endlich im gediegenen Sitzungssaal beginnen konnte, denn so lange dauerte es, bis die rund hundert Senatoren und 435 Abgeordneten auf ihren Plätzen saßen.
Zu Beginn ihrer Rede bedankte sich Merkel für die große Ehre, vor dem versammelten Kapitol sprechen zu dürfen. Sie erinnerte an Konrad Adenauer, der vor mehr als 50 Jahren, im Mai 1957, vor dem US-Kongress gesprochen hatte - allerdings nacheinander in beiden Häusern.
"In wenigen Tagen schreiben wir den 9. November", an dem die Berliner Mauer fiel, erklärte die Kanzlerin unter dem lauten Beifall der Abgeordneten. Es sei aber auch der Jahrestag der Pogromnacht, sagte Merkel, die nach den kurzen englischen Dankesworten am Anfang ins Deutsche wechselte. "Ich kann heute nicht hier vor Ihnen stehen, ohne der Opfer dieses Tages und der Schoah zu gedenken."
Merkel gab persönliche Erinnerungen aus ihrer Kindheit und Jugend in der DDR preis, als sie sich für "Jeans einer bestimmten Marke" begeisterte, die es damals in der DDR nicht gab und die sie sich, wie sie erzählte, von einer Tante im Westen schicken ließ. "Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das war für mich lange Jahre lang das Land der unerreichbaren Möglichkeiten", sagte die Kanzlerin in ihrem schwarzen Hosenanzug in den Sitzungssaal hinein, in dem man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Für sie sei nun "die Stunde des Dankes", sagte die sichtlich gerührte Kanzlerin und nannte ausdrücklich die Piloten der Luftbrücke und die 16 Millionen in Deutschland stationierten US-Soldaten, die über Jahrzehnte dazu beigetragen hätten, die deutsche Teilung zu überwinden. Sie erinnerte an die Präsidenten John F. Kennedy und Ronald Reagan, die sich für Deutschland einsetzten, und schließlich auch US-Präsident an George Bush senior, der Deutschland partnership in leadership angeboten hatte.
"Alles ist möglich", lautete ein Satz, den Merkel im Rückblick auf den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung mehrfach benutzte. Aber auch im Zeitalter der Globalisierung habe dieser Satz, dass alles möglich sei, seine Gültigkeit, sagte Merkel und lenkte damit geschickt auf die drängenden Themen der Gegenwart um.
Es gebe vielerorts Angst vor der Globalisierung. Doch die Alternative, nämlich ihre Abschaffung, wäre ein Weg ins Elend, weil sie zur Isolation führte. Wichtig sei das gegenseitige Gespräch. Die USA und Europa seien nicht immer einer Meinung. "Die einen halten die anderen manchmal für zu zögerlich und ängstlich und umgekehrt die anderen die einen für zu drängend", sagte Merkel und sprach von den "Mauern von heute", die auf einer gemeinsamen Wertebasis eingerissen werden müssten.
Es könne "null Toleranz" geben für die, die die Rechte der Menschen mit Füßen treten, sagte sie an den Iran gerichtet. "Null Toleranz auch, wenn die Massenvernichtungswaffen des Iran unsere Welt bedrohen können." Eine Atombombe in der Hand eines iranischen Präsidenten, der den Holocaust leugne und Israel die Existenz abspreche, dürfe es nicht geben. "Die Sicherheit Israels ist für mich nicht verhandelbar", sagte Merkel unter tosendem Beifall. "Wer Israel bedroht, bedroht auch uns."
Den USA sagte sie in Afghanistan von europäischer Seite mehr Unterstützung zu als in der Vergangenheit. Ziviles und militärisches Engagement seien untrennbar miteinander verbunden. "Der Einsatz dort muss in die nächste Phase geführt werden." Deutschland stelle sich seiner Verantwortung.
Den größten Applaus erhielt die deutsche Kanzlerin überraschenderweise bei einem Thema, das den Kongress eigentlich spaltet: dem Klima. "Wir alle wissen, wir haben keine Zeit zu verlieren, wir brauchen eine Einigung auf der Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen", mahnte sie klar an den Senat gerichtet, der derzeit das US-Klimagesetz blockiert. "Die globale Erwärmung darf 2 Grad Celsius nicht überschreiten." Die Welt brauche die Bereitschaft aller Staaten, sich auf ein Ziel zu verständigen, führte die Kanzlerin aus. Dabei dürften die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht ignoriert werden.
Es bestehe kein Zweifel, die Welt schaue im Dezember auf Europa und Amerika. Da hagelte es für die Klimakanzlerin sogar Bravo-Rufe.
Vor ihrer Rede vor dem Kongress hatte sich Merkel mit US-Präsident Barack Obama zu einem Vieraugengespräch im Weißen Haus getroffen. Einzelheiten der Unterredung, bei der es ebenfalls um Klima, Afghanistan und Wirtschaftsfragen gehen sollte, waren bei Redaktionsschluss nicht bekannt.
Vor ihrem Treffen tauschten Obama und Merkel Komplimente aus: Obama bedankte sich bei Merkel für den Einsatz und die Opfer Deutschlands in Afghanistan. Deutschland sei ein "außerordentlich starker Alliierter der USA" und Merkel eine "außerordentliche Führerin", sagte er. Zudem würdigte er Merkels Einsatz für den globalen Klimaschutz. Auch in Wirtschaftsfragen und der Atomwaffenpolitik habe er Merkel stets als "energisch" empfunden, sagte Obama. Sie habe eine "starke Vision", wie diese Themen vorangebracht werden könnten. Merkel sagte, sie freue sich auch auf den Meinungsaustausch, "der zwischen uns ja inzwischen schon sehr intensiv ist".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump