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Montagsinterview Wolfgang Schimmang"Da ich nicht Kanzler werden konnte, wurde ich Bildungsstadtrat"

Wolfgang Schimmang (SPD) hat als Neuköllner Bildungsstadtrat umstrittene Dinge wie den Wachschutz vor Schulen durchgesetzt. Auch nach 40 Jahren Politik kann sich der scheidende Politiker noch richtig aufregen.

Wolfgang Schimmang: Na, da bin ich ja mal gespannt, was Sie hören wollen von nem alten Provinzpolitiker …

 

taz: Ist Neukölln denn  Provinz?

Provinzialitäten haben wir hier auch. Aber eigentlich ist Neukölln, wie es heute ist, eher international aufgestellt. In Nordneukölln tobt die Internationalität, auch intellektuell. Vielleicht nicht so wie in Mitte. Aber geistige Einöde ist Neukölln nicht.

 

Was ist Ihre Heimat: Berlin oder Neukölln?

Der Bezirk. Ich habe mein ganzes Leben lang hier gewohnt: Als Kind am Reuterplatz, 1978 bin ich nach Rudow gezogen. Wenn ich den ganzen Tag hier in Nordneukölln gearbeitet habe, freue ich mich, mit einem Buch im Garten zu sitzen und die Piepmätze zu beobachten.

 

Fällt es Ihnen schwer, gerade jetzt aufzuhören, wo Neukölln sich so verändert und mit der Schulreform viel passiert?

Nein. Reformen gibts immer. Manche sind auch gar keine, da werden bloß alte Dinge aus den 20er-, 30er-Jahren wiederentdeckt. Wir haben in Neukölln unsere wichtigsten bildungspolitischen Ziele längst auf den Weg gebracht: 2001 den Umbau der Grundschulen zu Ganztagsschulen. Der zweite Schritt ist nun die logische Fortsetzung. Es macht keinen Sinn, in der vierten oder sechsten Klasse mit der Ganztagsbetreuung aufzuhören und die pubertierenden Jugendlichen freizusetzen.

 

Sie mussten zum Ende Ihrer Amtszeit noch Schulfusionen festlegen, Standorte schließen. Trotzdem hört man kaum Klagen - wie machen Sie das?

Zum Glück haben wir hier im Bezirk Mehrheiten, die sich in der Bildungspolitik sachgemäß engagieren. Den Schulfusionen haben 85 Prozent der Bezirksverordneten zugestimmt.

 

Wie schaffen Sie solche Mehrheiten?

Erstens haben die Menschen zumindest teilweise Vertrauen zu mir, weil ich von der Pike auf gelernt habe, ich bin ja selbst Lehrer. Zweitens: Wo immer es geht, versuche ich die Frage zu stellen: Wie würden Sie entscheiden, wo soll es langgehen? Und das hat, so wurde mir gesagt, dafür gesorgt, dass die Menschen hier das Gefühl hatten, dass man ihnen zuhört. So konnten wir was ganz Vernünftiges zustande bringen.

 

Trotzdem hat Neukölln gerade im Bildungsbereich immer noch ein Skandalimage.

Profis wissen aber, dass Neukölln schulisch gut aufgestellt ist. Selbst Klaus Wowereit, der in einem Moment partieller geistiger Schwäche mal gesagt hat, dass er seine Kinder nicht in Kreuzberg zur Schule schicken würde, hat damals eingeräumt, dass es in Neukölln anders ist. Vielleicht hängt das mit meiner Person zusammen und damit, wie wir hier Bildungspolitik machen. Vielleicht wollte er sich ja auch bloß nicht mit uns anlegen.

 

Die Neuköllner Genossen sind in der linken Berliner SPD ebenso berüchtigt wie berühmt.

Das hat dazu beigetragen, was wir hier schaffen.

 

Wie kamen Sie in die SPD?

Als Zwanzigjähriger hat mich Willy Brandt angezogen. Und ich fand die Arbeiterbewegung faszinierend. Ich dachte: Da kommste her, da willste mitgestalten. Ich gehöre aber nicht zum linken Flügel. "Mehr Demokratie wagen", Willy Brandts Wahlslogan, das hat auch Grenzen. Man kann Dinge auch zerreden. Ich halte viel von Solidarität, von Standhaftigkeit. Dass man nicht bei jedem kleinen Wind, der weht, vor Entsetzen einknickt. Klare Linie, klare Kanten, aber vorher überlegen. Als wir hier den Wachschutz für Schulen eingerichtet haben, haben wir - Buschkowsky und Schimmang - das erst mal intern abgestimmt.

 

Wie lange kennen Sie den Bezirksbürgermeister und Parteigenossen Heinz Buschkowsky?

Seit Anfang der 70er-Jahre. Wir haben lange Wege zusammen gemacht. Aber zurück zum Wachschutz: Wir hatten in zwei Jahren 53 Überfälle in Schulen des Bezirks von Tätern, die von außen kamen. Da haben wir uns gesagt: Das geht so nicht weiter, die Schulleiter bitten um Hilfe und es passiert nichts. Meine Idee war: Das geht nur mit Zustimmung der Schule. Dann bin ich durch die Gremien gelatscht: Lehrer, Eltern, Schüler, zack. Als das klar war, haben wir das in der SPD-Fraktion abgestimmt. Dann haben wir den Rest der Bezirksverordnetenversammlung ins Boot geholt, dann kam die Landesregierung. Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat mich dreimal einbestellt - ich dachte, die wollten sich informieren! Beim dritten Mal haben sie zu mir gesagt: ,Das hat ja keinen Zweck, du gehst von deinem Kurs nicht ab.' Und haben sich mit dem Wachschutz abgefunden. Das meine ich mit Standhaftigkeit. Aber damit wir uns richtig verstehen: Ich finde es bedauerlich, dass wir Wachschutz haben, skandalös und extrem traurig. Aber Schüler, auch Lehrer fühlen sich geborgener.

Sie sind selbst Lehrer - warum dieser Beruf?

Da bin ich vorgeschädigt: Schon mein Vater war Lehrer, Schulleiter in Neukölln, später Oberschulrat. Als Kind habe ich ihm gern beim Korrigieren zugesehen. Dazu kam, dass ich in der 12., 13. Klasse mit meinen Lehrern überhaupt nicht zufrieden war. Die waren grauenhaft. Ich wollte das besser machen.

 

Sie waren an der reformpädagogischen Fritz-Karsen-Schule - was war da so schlecht?

Von der Reformpädagogik habe ich nicht so viel gemerkt damals. Stattdessen wurde wie wahnsinnig aussortiert. Von meiner Klasse, bestehend aus 38 Schülern, haben nur drei Abitur gemacht. Das war keine schöne Schulzeit. Wir wurden fertiggemacht: Sind reingekommen frühmorgens, dann wurde abgefragt, und das wars. Liebevolle Zuwendung oder Förderung gabs nicht.

 

Gehört liebevolle Zuwendung zu den Aufgaben von Lehrern?

Nee, das hab ich jetzt aus Wut gesagt. Liebe gehört zu den Eltern. Freundliche Zuwendung, Verständnis, verbunden mit klaren Ansagen und Grenzen - das sind Lehreraufgaben. Aufmerksamkeit, Fürsorglichkeit, aber auch Konsequenz. Das ist ein physisch und psychisch sehr anstrengender Beruf. Deshalb ist es totaler Quatsch, wenn jetzt einige behaupten, dass Klassengröße unwichtig sei. Natürlich macht es einen Unterschied, in wie viele aufgerissene Augenpaare Sie schauen. Egal ist das nur, wenn ein Lehrer sich als zentrale Informationsausgabestelle betrachtet. Aber der ist doch ungeeignet für den Beruf. Mir ist rätselhaft, warum man die Lehrerausbildung nicht vollkommen umbaut. Wer Lehrer werden will, sollte schon vor dem Studium ein Jahr an die Schule gehen: als Schulhelfer oder Schulassistent. Und erkennen, ob er überhaupt für den Beruf geeignet ist.

 

Sie waren Leiter des Landesschulamts von Berlin. Warum sind Sie zurückgegangen auf die Bezirksebene?

Ich konnte als Schulrat viele Blätter mit Vorschlägen vollschreiben. Das interessierte bloß keinen. Da habe ich mir gesagt: Du musst doch auch mal was bewegen, und da ich nicht Kanzler werden konnte, wurde ich Bildungsstadtrat. Wenn ich mir ansehe, was dabei herausgekommen ist, bin ich relativ zufrieden.

 

Bildungsdebatten vermitteln den Eindruck, alles werde immer schlechter.

Diese ganzen überflüssigen Debatten machen mich wahnsinnig. Nehmen Sie die um Hartz-IV- und Kindergelderhöhungen: Das wäre mit einem Federstrich gelöst, wenn man kostenloses Schulessen einführt. Dann kommt das Geld direkt den Kindern zugute, und Vati und Mutti können es nicht mehr durch die Gurgel jagen.

 

Das klingt jetzt wieder richtig nach Neukölln: Sie haben auch Kindergeldkürzungen für Eltern von Schulschwänzern befürwortet.

Man muss manchmal auch mit Sanktionen arbeiten. Und das geht eben durch den Geldbeutel.

 

Das trifft aber die Ärmsten.

Also da muss ich jetzt mal grundsätzlich werden: Eine gewisse Verwahrlosung in der Erziehung gibt es überall. Es gibt Wohlstandsverwahrlosung: den Professor, die Professorin, die keine Zeit mehr für ihre Kinder haben. Und es gibt Armutsverwahrlosung: Eltern, die aus anderen Gründen keine Kraft haben, sich zu kümmern. Unverschuldet meist, wohlgemerkt. Und dann gibt es Zuwanderer, die teils mit ganz anderen Vorstellungen von Erziehung kommen, da können sie auch nichts für. Aber es gibt auch so eine gewisse Beliebigkeit in der Erziehung heute. Weil man selbst zu faul ist, sich zu opfern - Eltern sein heißt ja Opfer bringen, Zeit für die Kinder haben - bietet man ihnen den Fernseher, den Computer an und überlässt sie sich selber.

 

Haben Sie sich an der Erziehung Ihrer Kinder beteiligt?

Ich bin der Verantwortung teilweise entflohen, indem ich in die Politik gegangen bin. Ich habe meine Frau partiell im Stich gelassen. Aber für mich war immer klar: Du hast die Kinder in die Welt gesetzt, du liebst diese Kinder, und wann immer du freie Zeit hast, machst du was mit ihnen. Ich räume aber ein, dass ich vor häuslichen Arbeiten fliehe.

 

Ein 68er-Mann waren Sie nicht?

Nein. Ich hab zu der Zeit studiert und mir das auch angehört in den roten Zellen, aber ich habe mich immer gefragt: Was wollen die eigentlich? Wie sieht deren neues System aus? Und da schallten mir immer nur Räterepublik und Basisgruppen entgegen und dass die Arbeiter sich versammeln müssen. Ich konnte nicht erkennen, worin da die Verbesserung besteht. Es gab andere Fragen, die mich drängten: Bildungspolitik, warum der eine bessere Chancen hat aufzusteigen als der andere.

 

Ärgert es Sie, dass das hinter Themen wie Wachschutz und Sanktionsmaßnahmen oft verschwindet, was in Neukölln noch geschieht?

Ja. Wir machen große Anstrengungen, um das wenige Geld, das wir hier im Bezirk haben, den Schulen und der Jugend zur Verfügung zu stellen. Wir haben uns viel Ärger eingefangen, weil wir Grünpflege ganz stark privatisiert haben, um zu sparen. Das Geld haben wir für den Wachschutz, aber auch für zehn zusätzliche Schulstationen an Grundschulen investiert. Wir tun das, damit die Bevölkerung hier bleibt. Ich habe lange überlegt, ob ich dagegenhalte, als die Evangelische Schule Neukölln eine eigene Oberstufe einrichten wollte. Wir brauchten die eigentlich nicht, weil wir genug staatliche Schulen mit gymnasialer Oberstufe in der Gegend hatten. Aber ich habe dann beschlossen, die Fahne einzuholen. Wenn die Christen das hier haben wollen, was habe ich davon, wenn ich ablehne und die dann hier wegziehen und die Kinder anderswo zur Schule gehen? Man muss hier eben auch eine gewisse Liberalität haben.

 

Religiös sind Sie wohl nicht?

Nein, ich bin eher der humanistischen Denkrichtung verbunden.

 

Wie finden Sie Deutschklassen, wie Mitte sie einführt?

Ach, das ist ein gutes Thema, da kriege ich fast einen Wutrausch. Wir haben hier in Nordneukölln 19 Grundschulen. Es kann doch nicht sein, dass von einer oder zwei dieser Schule bestimmte Eltern angelockt werden, und die anderen bekommen dann die sogenannten Restschüler. Das ist unsolidarisch! Die Frage ist doch, wie wir allen Kindern in diesem Kiez helfen. Das geht nicht durch Abwerbung. Da müssen wir flächendeckend umbauen. Deshalb sage ich: Was nützen 180 Euro Kindergeld? Lieber 150 Euro oder 100 Euro! Aber dafür von Bayern bis Berlin kostenfreier Kindergarten, 0 Euro für Essen in der Schule, 0 Euro für den ersten Studiengang. Dann ist Ende der Fahnenstange, dann muss man bezahlen, wenn es weitergehen soll. So werden Kinder subventioniert und nicht Papa und Mama. Und da stehen auch Buschkowsky und die Neuköllner SPD dahinter, zu 200 Prozent.

 

Die wirkt ja manchmal geradezu monarchistisch.

Das sieht nur von außen so aus. Wir haben hier Ideen, aber bevor wir die mit der gebotenen Brutalität in der öffentlichen Debatte umsetzen, diskutieren wir intern. Das ist unser Erfolgsrezept.

 

Wird Ihnen das alles nicht künftig fehlen, wenn Sie in Pension gehen?

Nein. Ich habe meinen Weg zurückgelegt. Es muss ja irgendwann Schluss sein. Das Leben ist so schnell vergangen.

 

Wir haben überhaupt nicht über Einwanderung und Integration geredet!

Wenn Sie die Geschichte der Menschen verfolgen, sind wir doch so was von durchmischt. Einwanderung gab und gibt es, sie ist nötig, wer das verneint, redet Quatsch. Aber wenn man irgendwo landet, muss man auch gucken, wie da die Gewohnheiten sind. Ich kann nicht Fremder in einem fremden Land bleiben. Es geht aber nicht um Gleichmacherei: Wenn alle in der gleichen blauen Kleidung wie früher in China rumrennen, erstickt ja jede Fröhlichkeit des Lebens.

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