EINEN VERSUCH LEGEN : Der alltägliche Argwohn
Der frühere Leichtathlet und promovierte Jurist über naive Sportbegeisterung, dopende Konkurrenten und das Ende seiner Karriere
Vor über 20 Jahren entdeckte ich den Sport für mich, die Leichtathletik. Der Sport hatte für mich Klarheit, Struktur und Logik: Der bessere Athlet gewann. Besser war der Athlet, der mehr trainierte. Für die Leichtathletik galt, dass der Sportler mit den besttrainierten Beinen und dem idealen Schuhwerk siegen würde. Unsportliches Verhalten – insbesondere Doping – lag mir nicht nur fern, sondern war in meiner Naivität und mit meinem begrenzten, kindlichen Horizont auch im damaligen Spitzensport eine vermeintlich seltene Ausnahme.
Meine erste Erinnerung an Doping verbinde ich mit den Olympischen Spielen von Seoul 1988 und dem 100-m-Endlauf mit Linford Christie, Dennis Mitchell und den „Duellanten“ Carl Lewis und Ben Johnson. Im Freundeskreis diskutierten wir, wer wohl gewinnen würde. Ich war mir unschlüssig. Zu ausgeglichen wirkten Lewis und Johnson. Zentraler Diskussionspunkt waren letztlich die Schuhausrüster. Lewis (Mizuno) trug den leichtesten Schuh, Christie (Puma) hatte einen guten Schuh, war aber zu langsam, Gleiches galt für Mitchell (Nike). Johnson (Diadora) stufte ich wegen seines Schuhs als im Nachteil ein. Als Johnson dennoch gewann, war ich als Carl-Lewis-Fan enttäuscht. Die positive Dopingprobe von Johnson rückten mein damaliges Weltbild zurecht.
Heute ist es für mich fast unerheblich, welchen Schuhausrüster Usain Bolt (Puma) trug, als er seinen Fabelweltrekord im 100-m-Lauf erzielte. Vielmehr frage ich mich, ob auch er eines Tages des Dopings überführt wird. Meine Erfahrung lehrte mich, dass unglaubliche Leistungen im Sport zumeist auch unglaubwürdige Leistungen sind. Doping war damals und ist heute weit verbreitet. Diese Erkenntnis habe ich nicht etwa daraus gewonnen, dass ich Sportler gesehen habe, die sich bei Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Anwesenheit von Arzt und Trainer höchstselbst eine Spritze in die Armvene setzten; dass ich miterleben durfte, wie sich ein Athlet krankmeldete, nachdem er erfahren hat, dass Dopingkontrollen durchgeführt werden sollen; oder wie ein zur Dopingkontrolle ausgeloster Drittplatzierter durch den Zweitplatzierten ersetzt wird, indem der Kontrolleur einfach eine 2 in das Formular einträgt. Nein, diese Erkenntnis kam eher beiläufig: Immer wieder sind Sportler, gegen die ich gelaufen bin, des Dopings überführt worden. Die Folge: ein allgegenwärtiger Argwohn. Ich konnte die bessere Leistung eines anderen Sportlers nicht ohne Zweifel hinnehmen.
So verlor der sportliche Wettkampf seinen ureigenen Sinngehalt für mich. Konnte ich früher an den eigenen Sieg glauben, weil ich die Gründe einer Niederlage zunächst bei mir suchte, so sah ich sie nunmehr im vermeintlichen Doping des anderen. Die steigende Zahl überführter Sportler bestärkte mich in meinem Generalverdacht. So bestand für mich keine echte Wahl zwischen resigniertem Hinterherlaufen und Rücktritt; zu dopen kam für mich nicht in Betracht. Da ich aufgrund meines Argwohns in meiner Selbstwahrnehmung als Sportler ohnehin schon zu einem schlechteren Athleten geworden war, als in der naiven Anfangszeit meiner Laufbahn, war das Karriereende die schlüssige Wahl.
Das wesentliche Problem für die jetzige Generation junger Sportler ist, dass die Dopingproblematik in ihren Ausmaßen heute allseits bekannt ist, und dennoch nicht genug unternommen wird, um ihrer Herr zu werden. Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes beteuert – einerseits – die Bemühungen des DOSB im Anti-Doping-Kampf und übt sich – anderseits – als Lobbyist, der die Selbstreinigungskraft des Sports und seine Autonomie betont. Verfehlt erscheint es, wenn er die Fahndungserfolge bei den ersten Nachkontrollen olympischer Proben etwas Positives abgewinnt, indem er eine „abschreckende Wirkung“ erkennt. Man ist geneigt, es mit den Worten des französischen Moralisten François de La Rochefoucauld zu sagen: „Alte Narren sind größere Narren als junge.“
Angezeigt ist ein Kurswechsel im organisierten Sport wie auch in der Politik. Zunächst gilt es die staatliche Sportförderung zu hinterfragen, denn die Förderung von Dopingsport liegt sicher nicht im Interesse des Souveräns unseres Staates, des Volkes. Wir brauchen einen sauberen Sport, in dem Jugendliche wieder Ideale entdecken, sich verwirklichen und messen können. Wir brauchen einen Sport, der unbeschwert ist, der die Gedanken beflügelt und nicht den Argwohn weckt, ob das Idol vielleicht gedopt ist.