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Archiv-Artikel

„Ich habe kein Happy End versprochen“

KRIMINALDAUERDIENST Heute startet bei Arte die dritte und letzte „KDD“-Staffel, bevor sie im März im ZDF läuft. Drehbuchautor Orkun Ertener über Quotendruck, Experimente, Skrupellosigkeit und seine Schwiegermutter

Orkun Ertener

■ Anfänge: Geboren 1968 in Istanbul, aufgewachsen in Rüsselsheim, Studium der neueren deutschen Literatur und Medien, Dozent an der Uni Marburg

■ Drehbücher: Debüt 1994 beim Münchner „Tatort“ („Und die Musi spielt dazu“), „Der Bunker“ 1999, Erfinder der Krimifigur Sinan Toprak, 2008 Grimme-Preis für „Kriminaldauerdienst“ (KDD)

■ Lieblingsserien: „Für alle Fälle Fitz“, „Breaking Bad“, „Six Feet Under“, „Emergency Room“

■ Nächste Projekte: eine weitere Krimiserie für den ZDF-Freitagabend und eine Familienserie („Das ist brachliegendes Gelände, das unbedingt wieder urbar gemacht werden muss“)

INTERVIEW David Denk

taz: Herr Ertener, sind die Geschichten von „Kriminaldauerdienst“ auserzählt?

Orkun Ertener: Sie fragen, weil die Redaktion das als Grund dafür angegeben hat, dass die Serie eingestellt wird.

Genau. Und?

Nein.

Warum wird sie dann eingestellt?

„KDD“ hat die Quotenerwartungen des ZDF für den Freitagabend einfach nicht erfüllt.

Ihnen wäre also schon noch was eingefallen?

Ich denke schon, dass da noch Stoff für eine vierte und auch eine fünfte Staffel gewesen wäre. Uns war aber schnell klar, dass die dritte die, wie es im internen Sprachgebrauch hieß, finale Staffel sein würde – auch wenn ich zu Beginn der Arbeit an der dritten Staffel noch nicht wirklich an das Ende geglaubt habe. Als das dann aber besiegelt war, haben wir die Geschichte konsequent auf einen Schlusspunkt hin erzählt.

Hegen Sie Groll gegenüber dem ZDF?

In keinster Weise. Überhaupt nicht. Ich bin insgesamt, wie die meisten an Qualität interessierten Kollegen aus der Branche, etwas ratlos, wie es jetzt weitergehen soll. Wir wollen nicht alle „Die Bergwacht“ schreiben bzw. inszenieren …

eine dieser erschütternd ambitionslosen ZDF-Serien …

… ich könnte das, glaube ich, auch gar nicht. Was an deutschen Qualitätsserien nachkommen könnte, weiß ich nicht. Ich fürchte, da ist der Zug abgefahren. Wir werden die USA und Großbritannien, die da die Maßstäbe setzen, wohl nicht mehr einholen. Verglichen damit war „KDD“ erzählerisch-handwerklich auch noch nicht das Gelbe vom Ei.

Warum gelingt es nicht, für den deutschen Markt stimmige Geschichten zu erzählen und im Programm zu etablieren?

Hätten Sie mich das vor drei Jahren gefragt oder vor fünf, hätte ich geantwortet: Das ist eine Frage der Zeit. Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Inzwischen habe ich das Gefühl: Wir bewegen uns gar nicht mehr. „KDD“ war kein Fortschritt, sondern – provokant ausgedrückt – ein Rückschritt. Wir haben Preise dafür gewonnen, bekamen gute Kritiken, hatten aber durchweg enttäuschende Quoten.

Immer schlechter als „Der Alte“ und die anderen Rentnerkrimis, die vorher liefen.

Sogar bei den jungen Zuschauern gab es diesen Abfall der Quote. Ich habe in letzter Zeit mehrere Gespräche geführt, in denen es hieß: Sehr gern arbeiten wir mit dir als Autor zusammen, wunderbar, was du schreibst, aber, fügten meine Gesprächspartner dann etwas leiser hinzu, bitte nicht wie bei „KDD“. Die Angst davor, dass es wieder nicht funktioniert, ist sehr groß bei den Sendern.

Warum hat es nicht funktioniert?

Ich nehme an, es ist eine Gewohnheitssache. Solange der Zuschauer nicht immer wieder mit Experimenten dieser Art konfrontiert wird, gibt es auch keine Notwendigkeit, sich daran zu gewöhnen. Wenn wir gucken, was im ZDF seit Jahren freitags um 21.15 Uhr läuft, passt „KDD“ einfach nicht dazu. Das ist eine anstrengende Welt für den ZDF-Zuschauer, diese fortlaufend erzählte Geschichte, bei der man sieben Hauptfiguren im Auge behalten muss. Meiner Schwiegermutter gefällt „KDD“ auch überhaupt nicht, also gar nicht.

Was stört sie?

Zu komplex, zu schnell, zu verwirrend, zu düster, zu unmoralisch. Hat Ihrer Mutter „KDD“ gefallen?

Sie hat gar nicht wahrgenommen, dass es die Serie überhaupt gibt. Wäre der Sonntagabend nicht ein besserer Sendetermin für „KDD“ gewesen?

Ganz sicher. Dieser Sendeplatz, auf dem Krimikoproduktionen mit skandinavischen und britischen Sendern laufen, ist ein sehr, sehr gutes Beispiel dafür, wie sich das ZDF über Jahre ein relativ junges Stammpublikum aufgebaut hat, das sehr regelmäßig und in hoher Zahl nach dem „Tatort“ noch vorbeischaut. Aber das ZDF wollte „KDD“ auf diesem Sendeplatz nicht.

Gab es denn Versuche, den Sender dazu zu bewegen?

Das ist nicht meine Aufgabe, auch nicht die der Produzenten, das entscheidet alleine das ZDF.

Hat das beschlossene Ende von „KDD“ Sie als Drehbuchautor angespornt, noch mal ein richtiges Feuerwerk abzubrennen?

Ursprünglich war mein Gedanke bei der Arbeit an der dritten Staffel, die dann die letzte werden sollte, es vereinfachen zu wollen, ohne es zu verflachen. Denn ich glaube, dass wir es den Zuschauern zu schnell zu schwer gemacht haben. Da hat meine Schwiegermutter nicht ganz unrecht. Doch interessanterweise hat mich dann mein gesamtes Umfeld, inklusive des ZDF-Redakteurs, ermuntert, noch mal das ganze Feuerwerk abzubrennen, um Ihre Worte zu gebrauchen, wogegen ich überhaupt nichts hatte. So ist es eben wieder „KDD“ pur geworden. Wenn ich was aus „KDD“ gelernt habe, was Zuschauerakzeptanz angeht, dann, dass man Kompromisse finden muss. Es muss auch Zwischenstufen geben, muss auch möglich sein, Qualität auf eine neue Stufe zu bringen, ohne das Publikum zu verschrecken.

Sie klingen so, als hätten Sie lieber etwas Neues ausprobiert, das Tempo rausgenommen?

Aber nur unter der Maßgabe, es möglicherweise fortsetzen zu können. Es geht nicht um Arbeitsplatzerhaltung, sondern darum, sich in einer Realität vorzutasten: Was funktioniert? Wie funktioniert es? Unter welchen Bedingungen? Es bringt ja nichts, nur rumzusitzen und zu klagen, „KDD“ kommt nicht an, „Bergwacht“ schon, also machen wir „Bergwacht“, es geht um die Suche nach einem dritten Weg, nach möglichen Alternativen. In diesem Sinne habe ich meine Aufgabe zunächst verstanden. Aber auch mit einer weiteren Staffel „KDD“ pur schließt sich für mich der Kreis ganz wunderbar. Ich bin sehr zufrieden über diesen Abschluss von fünf Jahren Arbeit.

Wäre es nicht eigentlich Aufgabe des ZDF, sich um die Zukunft der Qualitätsserie zu kümmern?

Vielleicht ist Fiction auch nicht so wichtig in Deutschland, vielleicht ist das Fernsehen auch nicht mehr so wichtig.

Uff. Aber ein öffentlich-rechtlicher Sender kann doch nicht billigend in Kauf nehmen, dass sein Publikum vergreist?

Es ist nun mal so, dass die Sender kurzfristige Erfolge wollen, und dafür gibt es eine Rezeptur. Was die Degeto macht …

Sie meinen die Kitschfilme mit Christine Neubauer …

… das ist erfolgreich und wird es auch noch die nächsten fünf bis 15 Jahre sein. Aber die Frage ist doch: Brauchen wir für solche Filme zwei große öffentlich-rechtliche Komplexe? So viele Redakteure? So viel Verwaltung? Ich glaube daran, dass sich diese Frage im europäischen Rahmen bald auch politisch stellen wird. Darf sich ein öffentlich-rechtliches Programm, das gebührenfinanziert ist, nur am Markt orientieren? Das ist die eine Seite der Legitimitätsdiskussion, die andere ist, dass Arbeitsplätze dadurch legitimiert werden, dass sie erfolgreich sind. Herr Koch hat sicherlich nicht von ungefähr mit dem scheinbaren Misserfolg von Herrn Brender als ZDF-Chefredakteur argumentiert und nicht politisch. Er hat nicht gesagt: Mir passt nicht, was der Mann sagt, sondern er hat gesagt: Er ist nicht erfolgreich. Und wenn ich Angst habe um den Status quo, wie es in den öffentlich-rechtlichen Sendern offenbar der Fall ist, dann versuche ich eben, einen kurzfristigen Erfolg an den anderen zu reihen.

Wo soll das noch enden?

„Es geht nicht um Arbeitsplatzerhaltung, sondern darum, sich in einer Realität vorzutasten: Was funktioniert? Es bringt ja nichts, nur rumzusitzen und zu klagen, „KDD“ kommt nicht an, „Bergwacht“ schon, also machen wir „Bergwacht“, es geht um die Suche nach einem dritten Weg, nach möglichen Alternativen“

Das weiß ich nicht. Ich habe kein Happy End versprochen.

Damit ist auch bei „KDD“ nicht zu rechnen. In der neuen Staffel bleibt kaum ein Stein auf dem anderen, die Figuren überraschen die Zuschauer immer wieder aufs Neue. Wie viel Skrupellosigkeit braucht man als Drehbuchautor einer solchen Serie?

Man braucht eine gewisse Unerschrockenheit, die Geschichten der Figuren zu Ende zu denken. Nichts anderes wollte ich mit der dritten Staffel. Nehmen wir zum Beispiel Mehmet, den türkischen Kollegen im Ermittlungsteam, der in der letzten Staffel im Mittelpunkt steht: Sein innerer Konflikt ist ja zwei Staffeln lang erzählt worden – kann er den lösen? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er ihn nicht lösen, keine innere Haltung gewinnen kann. Und dann frage ich mich: Was passiert? Was ist die schlimmstmögliche Wendung? Und die darf man sich nicht scheuen, zu erzählen. Insofern braucht man für „KDD“ eine gewisse Skrupellosigkeit.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Serie aus?

Haben Sie das Gefühl, ein bisschen was von Berlin mitzukriegen, wenn Sie „KDD“ gucken?

Ja.

Sehen Sie, und das ist mein Anspruch an eine gute Serie. Ich möchte etwas über unsere Zeit erfahren. Meine Lieblings-US-Serien haben sich alle mit dem Irakkrieg und der Bush-Regierung auseinandergesetzt. Es geht mir gar nicht um politisches Fernsehen, sondern darum, dass sich unsere Wirklichkeit in einer Serie widerspiegelt. Und dann gibt es viele handwerkliche Kriterien: Ich liebe gut gezeichnete, in der Tiefe erzählte Figuren. Das ist mir sogar wichtiger als der Plot. Und ich persönlich mag es, wenn ich mehreren Geschichten gleichzeitig folgen kann.

Woran erkennt man denn, ob eine Figur gut gezeichnet ist?

Sie haben gerade gesagt, dass die Figuren in „KDD“ Sie immer wieder überraschen. Und Menschen sind ja tatsächlich immer wieder überraschend, widersprüchlich, vielschichtig. Je mehr sich das in einer Figur wiederfindet, je weniger sie nur einen Aspekt lebt, desto besser gezeichnet ist sie.

Bei der dritten Staffel fungieren Sie auch als „Creative Producer“. Was bedeutet das?

Dass ich noch stärker in den Produktionsprozess involviert war als bei den ersten beiden Staffeln ohnehin schon. Ich war bei den Leseproben dabei, habe mit den Schauspielern an ihren Texten gearbeitet, mit ihnen am Buch gefeilt, war in alle Besprechungen eingebunden, bis hin zum Casting.

Das ist hierzulande selten.

Und genau das ist das Problem. Eine gute Serie braucht nämlich nicht nur komplexe Figuren, sondern auch starke Autoren. Bei uns geben Autoren in der Regel die Bücher ab und haben dann keinen Einfluss mehr auf das Produkt. Meistens schreibt bei Serien auch jede Folge ein anderer Autor. Wie soll dabei etwas entstehen, was aus einem Guss ist, eine Vision hat?

Rezension zur dritten Staffel auf www.taz.de/kdd