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… und lange wenig sonst: Wenn demnächst gleich zwei NDR-Ermittler in Tatort Nummer 1.000 auftreten, ist daran manches anders. Und anderes wie früher. Eine mäßig systematische BetrachtungMänner in Mänteln

von Alexander Diehl

Am Anfang war die Konkurrenz: Auf den „Kommissar“ des Zweiten wollten die Oberen des Ersten Deutschen Fernsehens eine Antwort geben (siehe Text links). Weil man eine föderal verfasste Anstalt war, schickten die diversen Sender je eigene Ermittler los, um im jeweiligen, mehr oder minder den Landesgrenzen entsprechenden Beritt Verbrechen aufzuklären.

Schon 1971 war auch der österreichische Rundfunk mit an Bord, der später sogar 13 fertige Tatorte für sich behielt – besetzt mit den eingeführten Ermittlern und eröffnet vom klassischen Vorspann, aber eben nur im eigenen Land ausgestrahlt. Auf diesem Umstand nun fußt jene Minderheitsmeinung innerhalb der Expertenschaft, wonach es gar nicht der 1.000. Tatort ist, der am 13. November unter dem anspielungsreichen Titel „Taxi nach Leipzig“ ausgestrahlt wird – der Jubiläums­krimi sei vielmehr längst gelaufen, es sei einer aus Bremen gewesen.

Auf Transitstrecken

So einleuchtend das regionale Prinzip der Reihe, und sei es auch erst im Rückblick, so verwässert war es von Anfang an: Der NDR verantwortete als eine der großen ARD-Anstalten Tatort Nummer eins, ausgestrahlt am 29. November 1970 – bloß spielte jener „Taxi nach Leipzig“ nur zum kleinen Teil auch im eigenen Sendegebiet, dafür umso mehr in jenem Teil Deutschlands, den unter den Zuschauern etliche noch als „Ostzone“ bezeichnet haben dürften. Mindestens so sehr wie auf den damaligen „Taxi nach Leipzig“ allerdings spielt der neue mit Zutaten aus dem ebenfalls mit Ost-West-Gemengelagen hantierenden SFB-Tatort „Transit ins Jenseits“ aus dem Jahr 1976 an, der aber zu den eher obskuren zählen dürfte.

Was immer das besondere Setting damals ausgemacht hat – Transitstrecke, Ost-West-Konflikt, anerzogenes Misstrauen versus Kollegialität unter Beamten dies- und jenseits der Mauer –, heute ist davon nicht viel übrig; heute jemand in ein „Taxi nach Leipzig“ zu setzen, hat doch wenig anderes als in eines nach, sagen wir: Delmenhorst. So ist die Bezugnahme eben doch kaum eine inhaltliche.

Wenn nun, aus Anlass des großen Jubiläums, zwei Hauptfiguren gleichberechtigt auftreten – Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus Niedersachsen und der Kieler Klaus Borowski (Axel Milberg) –, dann werden die ARD-Verantwortlichen nicht müde, schon das zur Nachricht hochzujazzen. Daran ist richtig, dass es nie einen Tatort gab, in dem zwei ansonsten für sich Ermittelnde derart auf Augenhöhe vorkommen. Aber mindestens zehn Jahre lang kam es im Tatort ständig vor, dass sich die diversen Kriminaler gegenseitig aushalfen. Auch der Hamburger Trimmel und der Kieler Finke liefen einander oder anderen gern mal über den Weg.

Das mag damit zu tun haben, wie neu das Konzept war, in unregelmäßiger Folge dieselben Ermittler wiederkehren zu lassen; es sollte vielleicht in Erinnerung gehalten werden, wer zum selben Kosmos gehört – ein wenig wie heutzutage bei den Marvel-Superheldenfilmen.

Besonders schön mit den gegensätzlichen Temperamenten zweier Ermittler spielte man im ersten Auftritt des WDR-Mannes Kressin: Der Zollfahnder war stets irgendwo zugange, wo es schon einen „richtigen“ Kommissar gab. In „Kressin und der tote Mann im Fleet“ führt auf der Elbe beobachteter Schmuggel ihn nach Hamburg. Der deutlich ältere Trimmel, in dessen Büro ein Schild hängt „Der Beamte hat immer recht“, hält den Lebemann Kressin für unseriös, um es vorsichtig auszudrücken. In dieser Konstellation klingt freilich schon manches an von dem, was später die Münster-Tatorte ausmachte.

Mit einer gewissen Regelmäßigkeit gerät die Reihe laut dem Göttinger Tatort-Erforscher Christian Hißnauer in Krisen; die erste verortet er Ende der 70er-Jahre, „als die damals großen Darsteller“ aufgehört hatten: Gustl Bayrhammer, seit 1971 als Melchior Veigl erster Tatort-Kommissar des BR, hängte 1982 den Filzhut an den Nagel. Im nordrhein-westfälischen Essen löste 1980 Hansjörg Felmy alias Heinz Haferkamp seinen letzten Fall; der Gesinnungsnorddeutsche mit dem protestantisch zu nennenden Arbeitsethos hatte in nur sechs Jahren stolze 20 Tatorte vorgelegt, dazu kamen mehrere, deren Bücher Felmy für zu schlecht erachtet haben soll – Hißnauer zufolge stand dahinter aber ein Dissens zwischen Felmy und Drehbuchautoren, die Haferkamp hätten „brüchiger machen“ wollen.

Fluss und Beständigkeit

Man kann diese „Krisen“ und ihr Gegenteil übersetzen: Auf lange Phasen mit eingeführten, beim Publikum oftmals ausgesprochen beliebten Ermittlern folgten solche der Orientierungssuche. So bestimmten beim NDR zunächst die beiden erwähnten Kommissare – großzügig gesprochen – das erste Jahrzent: In Hamburg ermittelte Trimmel 1970 bis 1982 in elf eigenen Fällen, in noch mal sieben trat er, unterschiedlich ausgiebig, als Gast auf. In Kiel angesiedelt, aber gern auch in schleswig-holsteinischer Provinz auf Mördersuche, war von 1971 bis 1979 der vornamenslose Finke, gespielt von Klaus Schwarzkopf.

Der später in Hollywood groß rausgekommene Wolfgang Petersen war an sechs von sieben Finke-Tatorten beteiligt; darunter war mit „Reifezeugnis“ ein in so mancher Hinsicht als Meilenstein bezeichneter: Die selbst noch minderjährige Debütantin Nastassja Kinski spielte eine Schülerin, der ihr Lehrer (Christian Quadflieg) nicht widerstehen kann – seinerzeit ein mittlerer Skandalstifter und entsprechend erfolgreich.

Ungleich schwerer tat sich der NDR mit Niedersachsen: 1974 schickte man Heinz Brammer (Knut Hinz) in Hannover ins Rennen. Den markierten Hut und die ins Büro mitgebrachte Akustikgitarre (und, folgerichtig, ein Cameo-Auftritt Udo Lindenbergs ganz zu Anfang) als einen aus der Post-Hippie-Ära, zumindest aber sollte da etwas weniger Orthodoxes zum Tragen kommen – ein Generationswechsel, den mancher Kritiker eher am WDR-Fleißarbeiter Haferkamp festmachte: Hier wie dort waren die Protagonisten nun zu jung, um noch ins NS-Regime verstrickt gewesen zu sein – anders als etwa Trimmel oder auch Delius, der auch vom NDR entsandt war, allerdings zum Militärischen Abschirmdienst; hier suchte sich der Tatort am Agentenfilm abzuarbeiten.

Eintagsfliegen

Vier Fälle löste Schlapphutträger Brammer, dann durfte 1979 der große Komiker Dieter Krebs Kommissar spielen: in Braunschweig unter dem Namen Nagel. Warum es bei dem einmaligen Fall blieb, ob es an Krebs lag oder am Publikum, darüber schwanken die Angaben.

Vom NDR gestellt, aber nur unter anderem in Hamburg eingesetzt wurde 1980 bis 82 Kommissar Jochen Piper, der in einer seltenen Crossover-Variante von der Bremer Mordkommission kommend irgendwann in Spanien Amtshilfe leistete.

Gleich mehrere dieser kurzlebigen Ermittler-Figuren durfte Hans Häckermann spielen: Der war 1973 als erster Radio-Bremen-Kommissar aufgetreten unter dem Namen Böck. 1981 dann kehrte er, wenn man so will, wieder: für den NDR in Lübeck – irritierenderweise nun unter dem Namen Beck; beide Male blieb es bei einem einzigen Einsatz. In Lübeck – respektive dem fiktiven Vorort Endwarden – versuchte es der NDR dann gleich noch mal: Horst Greve (Erik Schumann) durfte 1981 mit dem dunklen Erbe eines lange toten „hundertfünfzigprozentigen“ Nazis hantieren.

Mindestens so exotisch für Zuschauer außerhalb des NDR-Kernlands: Nikolaus Schnoor (Uwe Dallmeier) wurde 1982 einmalig an der Unterelbe eingesetzt; hier mussten einige Passagen hochdeutsch untertitelt werden.

In Bremen passierte dann lange nichts – bis mit Inga Lürsen 1997 endlich auch im Norden eine Frau die Ermittlungen leiten durfte, was sie bis heute tut. Indem die Figur nach und nach eine Vergangenheit in der Friedensbewegung offenbarte, boten sich dann – um Jahrzehnte verspätet – auch mal Möglichkeiten, die RAF und den Deutschen Herbst wenigstens zu thematisieren.

Und Hamburg? Nach Trimmel war Ruhe, dann kam 1984 Paul Stoever, gespielt, nein: inkarniert vom jüngst verstorbenen Manfred Krug; anfangs allein, dann mit Sidekick Peter Brockmöller, war er bis 2001 eine feste Größe: 41 Fälle – und das zweifelhafte Verdienst, mit den irgendwann notorischen Gesangseinlagen eine besonders „Kult“-anfällige Idee hüftsteifen Humors in die Reihe gebracht zu haben.

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