„... DIESE BRUTALITÄT DER SANFTHEIT“

■ Interview mit Helmut J. Psotta, Raul Avellaneda, Sergio Zevallos von der Grupo Chaclacayo über „Todesbilder“

Am Ende eines kleinen Dorfes in den Anden, Chaclacayo, steht noch ein Haus. Früher feierte hier ein peruanischer General rauschende Feste, jetzt hat das Haus das Goethe -Institut angemietet, als Atelier für eine Künstlergruppe. Mitten in die Bergwüste hat sich der deutsche Kunstprofessor Helmut J. Psotta, der an der Kunstabteilung der Katholischen Universität von Lima als Gastprofessor wirkt, mit zwei seiner peruanischen Studenten, Sergio Zevallos und Raul Avellaneda, zurückgezogen. Die künstlerischen Ergebnisse zweier Jahre, Bilder, Installationen und Fotos von Performances in den Anden sind 1984 im Kunstmuseum in Lima gezeigt worden, bevor sie unter Mithilfe der Deutschen Botschaft, des Goethe-Instituts, des Berliner Künstlerprogramms des daad und des Auswärtigen Amts in Bonn eine Reise nach Europa, in die Bundesrepublik angetreten haben. Letzte Station nach Stuttgart, Bochum und Karlsruhe ist Berlin.

taz: Peru steht für das „Ende des europäischen Traums“, wie ihr formuliert habt. Ist der Traum der Eropäer und damit ihr Einfluß wirklich zu Ende geträumt?

Helmut J. Psotta: Für mich als Europäer ist Peru ein Paradigma für 500 Jahre Kolonisation, 500 Jahre Reichtum und immer Gewalt im Namen der herrschenden Moral oder des Christentums. Dieses Ausplündern, dieses Beherrschen-Wollen ist gerade bei uns in Europa eine entwickelte psychologische Mentalität. Das sehen wir gerade wieder auch in Berlin und der BRD: Alles was frei wird, wird besetzt, das ist dieser Traum von Grenzverschiebungen. Heute läuft das, was früher über die Kirche lief, natürlich subtiler, über Banken oder Politiker. Aber langsam wachen wir auf, ernüchtert von der peruanischen Wirklichkeit.

Raul Avellaneda: Die europäische Kultur in Peru ist völlig dekadent; die einfachen Leute haben nicht mal Wasser und Licht.

Psotta: In Lima steht die älteste Universität des amerikanischen Kontinents, San Marcos, eine spanische Gründung. Ich hatte mir immer zumindest eine passable Fassade vorgestellt. Aber was du da siehst, ist eine Krebsstation, 60 Prozent der Studenten sind unterernährt, es ist wie nach einem Bombardement und so entsetzlich verkommen. Es gibt keinen Pfennig Zuschuß, der Campus wird nur von der Polizei besetzt. Wenn in San Marcos ein Buch von Marx oder Marcuse gefunden wird, wirst du sofort gefoltert, verschwindest, wirst umgebracht. Das ist nur ein Beispiel, das dieses Ende des europäischen Traums dokumentiert, das sich Marx wahrscheinlich gar nicht mehr hätte vorstellen können.

Was meint eure Selbstbeschreibung als „verbotene“ Europäer?

Sergio Zevallos: Wir leben in einer Welt, besetzt mit europäischen Normen: die Sprache, die Ideologie, die Religion. „Verboten“ heißt, daß wir auf diesem Weg nicht weitergehen können, da wir politisch, psychologisch und emotional unterdrückt sind. Man fühlt eine Sehnsucht nach Ausdruck dieser schrecklichen Situation, und nur durch den Einfluß eines Europäers läßt sich diese Sprachlosigkeit überwinden. Es gibt keinen anderen Weg, die uralten Wege sind alle verschüttet.

Psotta: Wir als Eropäer müssen von uns aus ihnen das wieder zurückgeben, was wir ihnen vorher genommen haben, das Selbstbewußtsein. Die Propaganda macht hier aus den Lateinamerikanern Exoten und Papageien, aber Peru ist ein europäisches Kolonialland, das merkt man auf Schritt und Tritt.

Avellaneda: Aber wir reden jetzt über Kunst, über menschlichen Austausch. Politisch ist das alles viel schwieriger. Wenn jetzt in Peru eine Revolution wie in Rumänien gemacht würde, wir hätten gar keine eigenständige Kultur, wir haben nur eine europäische Sprache.

Psotta: Das ist wirklich ein ungeheurer Teufelskreis. Vielleicht kann man das nur psychologisch, individuell lösen, wie wir das als Gruppe versuchen.

Ihr arbeitet jeweils an Zyklen von 50 bis 250 Arbeiten zu einem Thema. Ist das die Suche nach der optimalen Lösung oder ist das ein Runter-Malen von etwas, das manisch beschäftigt?

Psotta: Das ist eine Obsession. Goethe hat geschrieben: „Ich weiß es noch nicht zu sagen, weil mein Wort noch nicht gemacht ist.“ Man ist psychisch so davon besetzt, daß man nach dem präzisesten Ausdruck dafür sucht. Die Hoffnung, daß man irgendwann einen gültigen Ausdruck findet für soviel Skandal, eine Schleuse, die geöffnet wird für einen Bilderstrom. Das ist Therapie. Aber es kommt natürlich ein bestimmter Qualitätsbegriff dazu. Nicht daß man alles rauskotzt und das hinhängt, sondern wenn wir es veröffentlichen, suchen wir die besten Sachen aus. Und alle zusammen sind, wenn man bei der Idee bleiben will, das eine Meisterwerk.

Wäre auch ein anderes Thema als „Todesbilder“ irgendwann vorstellbar?

Avellaneda: Für mich nicht. Ich kann nicht lügen oder etwas vertuschen.

Das heißt, die äußeren Bedingungen müßten sich ändern. Euer Haus in Peru ist auch öfters durchsucht worden - eine völlige Abgeschiedenheit von der sozialen Wirklichkeit ist gar nicht möglich.

Avellaneda: Wir können jetzt auch gar nicht mehr zurück, da wir in Peru von Presse und Polizei verfolgt werden.

Seitdem ihr hier im Ausland ausgestellt habt?

Psotta: Es sind Leute hier gewesen und wollten den Leiter des Künstlerhauses, Michael Haerdter, über uns ausquetschen. In rechtsextremen Hetzzeitschriften in Peru werden die unglaublichsten Sachen behauptet, zum Beispiel, daß wir subversiv sind. Das geht soweit, daß sie behaupten, die bundesdeutschen Institutionen, die das Projekt unterstützen, seien es ebenfalls. Schon die Ausstellung in Lima war ein ungeheuerliches Wagnis. Wir wollten in einem der größten Museen - es gibt nur zwei - ausstellen, und das hat mit Unterstützung des Goethe-Institutes auch geklappt. Das war noch vor den Wahlen, da war die Subversion (von seiten des „Leuchtenden Pfads“ und anderer bewaffneter Gruppen) noch nicht so tätig. Das wäre jetzt unmöglich. In diesem Hetzartikel stand wörtlich: „Wenn die Kerle hier ausstellen würden, dann hätten wir mit ihnen kurzen Prozeß gemacht.“ In dieser geladenen Situation wirkt Kunst wie Sprengstoff.

Die Ausstellung in Lima ist aber damals absurderweise von deutscher Seite zensiert worden. Was paßte den Deutschen nicht?

Psotta: Das Goethe-Institut hat einen Rahmenvertrag, der jeweilige Leiter muß sich an bestimmte Auflagen politischer Natur halten. Ein Botschafter oder ein Kulturattache hat die Möglichkeit, Veto einzulegen. Zu dieser Zeit polemisierte gerade F.J. Strauß, die Goethe-Institute wären viel zu linkslastig etc. Unser Projekt war nicht im Sinne deutscher Außenpolitik. Das war so brutal, als dieser Kulturattache mit spitzem Bleistift reinkam und sagte, das muß raus und das muß raus, das wäre Pornographie. Aber keine meiner Arbeiten - Deutsche können ja keinen Deutschen in Peru zensieren, wohl aber Peruaner. Und dann haben wir all das Inkriminierte mit schwarzen Tüchern verhängt, im Anschwärzen haben wir ja Tradition, und das wurde vom Publikum natürlich sofort abgerissen. Das wußten wir schon. Das Absurde war, daß die peruanischen Behörden nicht reagiert haben. Sogar das Auswärtige Amt hat gegen die Verdächtigungen seiner eigenen Auslandsvertretung Entschuldigungsbriefe geschrieben und letztlich diese Ausstellung finanziert und hierhergeholt. Beim Transport hierher hat dann wieder die Deutsche Botschaft mitgemacht. Das sind ganz merkwürdige Widersprüche, die eben auch zum europäischen Traum gehören.

Woher kommt die gegenwärtige heftige Reaktion der peruanischen Presse?

Avellaneda: Ich glaube, daß die politische Situation sich absolut radikalisiert hat. In Kürze finden Wahlen statt, natürlich will die absolute Rechte unter Vargos Llosa durchkommen. Da ist diese Ausstellung, von kritischen Peruanern gemacht, aber massiv von deutscher Seite unterstützt, eine ungeheure politische Provokation.

Zevallos: In Bochum wollte ein Tscheche diese Ausstellung nach Prag bringen, weil er eine Affinität zu den revolutionären sozialen Bewegungen gespürt hat. Inzwischen hat er allerdings Angst, daß sie sie in Prag nicht mehr haben wollen, weil schon wieder jeder sein Geschäft machen will.

Sind die „Todesbilder“ gut exportierbare Metaphern für alles und jedes oder behandeln sie nicht vielmehr auch ein sehr peruanisches Problem: die völlig übersteigerte Verquickung von Katholizismus und politischer Repression?

Psotta: Ich glaube, auch das ist ein importiertes europäisches Kulturgut. Zum Beispiel die Heilige Rosa von Lima, die hat sich ja wirklich mit 31 Jahren total zerfleischt. Und ausgerechnet die wird zum Ideal erhoben, zum Ideal des Leidens bis zum letzten Moment als Buße, als unbedingte Notwendigkeit, erlöst werden zu können. Wir tragen diese ganzen heiligen Rosas in uns. Uta Ranke -Heinemann wird von der Kirche verfolgt, weil sie ganz einfache Wahrheiten ausspricht. Oder die Leute der Befreiungstheologie, die werden einfach exkommuniziert. Die katholische Kirche war noch nie so reaktionär wie jetzt, der Wojtyla könnte ein Generalvertreter einer Chemiefirma sein, er verkörpert eine unglaubliche Brutalität der Sanftheit. Auf der anderen Seite ist das Ausmaß der Leidensbereitschaft in Peru, getröstet durch den Verweis aufs Jenseits, hier überhaupt nicht vorstellbar. Deshalb auch die Heilige Rosa und das Ideal der Selbstzerfleischung.

Avellaneda: Oder Christus, immer als Leiche dargestellt. Je mehr Wunden, desto besser.

Psotta: Wie eine Landkarte von Wunden. Und diese total zerfressenen alten Holzstatuen sind alle europäisiert, haben blonde europäische Perrücken auf. Dafür ist das Geld dann da, so eine Kirche dekorativ zu beleuchten, daneben sind Wüstenstriche, wo die Leute kein Wasser, kein Haus haben.

Glauben die Leute daran?

Avellaneda: Sie suchen etwas, woran sie ihre Seele hängen können. Zum Beispiel die Prozession des Herrn der Wunder. Massen von Leuten bewegen sich seit Jahrhunderten immer gleich durch die Straßen, jammern und klagen.

Wieland Schmied hat geschrieben, die Kirche hat den ganzen sexuellen Bereich mit Scham belegt, somit ist der Bereich der Gewalt „neutral“. Sergio spricht in einem Aufsatz von der Schamlosigkeit der täglichen Morde, vom „obszönen Tod“...

Zevallo: Oben steht die Macht mit dem reinen Gesicht und begeht in Wirklichkeit Verbrechen. Unten wissen es alle, kennen die Verbrecher mit Namen, aber tun nichts, leben in ganz normalen menschlichen Beziehungen. Das ist Schizophrenie...

Psotta: ...methodischer Wahnsinn. Ein Innenminister erschießt persönlich politische Häftlinge und kniet einen Tag später im sauberen Anzug neben dem Papst. Zu diesem Besuch wurde ein Kaufhof mit einer bemalten Attrappe einer Inkafestung dekoriert, und der Minister hat vorher seine Frau kirchlich geheiratet, weil in einem Statut steht, man kann keinen Papst mit seiner Konkubine empfangen.

Avellaneda: Und diese Leute wollen wissen, was Pornographie ist.

In vielen Aktionen spielt ihr auf kirchliche Würdenträger und katholische Riten an, z.B. auf den Karfreitagsritus.

Psotta: Die ganze Karwochenliturgie ist ein richtiges Drama, eine Theaterform, die mich schon als Kind fasziniert hat. Wie sie das Sterben dramatisieren und wie sie auch ungeheuerlich trauern können, den Tod aushalten können, ihn zur Metapher machen.

Avellaneda: Diese Faszination hat viel zu tun mit Zärtlichkeit, mit Menschlichkeit. Diese Thematik zu behandeln bedeutet nicht, die Gewalt in sich zu haben. Zum Beispiel, wie Helmut in der Performance Tücher zusammenlegt, um ein Kleid zu bauen, diese ruhige Atmosphäre. Oder auch, wie Leonardo sagt, das Schönste wird schöner, wenn es am Häßlichen gespiegelt wird.

Selbst in den Todesbildern gibt es eine Suche nach Schönheit.

Psotta: Diese Schönheit ist auch ein Schutz. Damit ich den Konflikt ertragen kann, suche ich eine Form, die Lust gibt, eine Gesetzmäßigkeit wenigstens. Die Wiener Aktionisten haben wirklich Blut fließen lassen, bei uns ist es Theaterblut, Fiktion. Wenn man genügend geistige Beziehungen zu der Thematik und künstlerische Potenz hat, kann man das auch so sinnfällig darstellen, daß es gleichzeitig schrecklich und schön ist. Und die Schönheit bedeutet nicht, daß dadurch das Thema des Todes abgemildert wird.

Zevallos: Das ist auch ein tiefer Respekt vor dem Material, dem Medium, das bedeutet gleichzeitig Respekt vor dem Menschen...

...den es in der politisch-sozialen Wirklichkeit nicht gibt.

Zevallos: Ich muß auch mit Objekten, von denen ich ihre Geschichte weiß und deshalb Ekel habe, umgehen, ich muß es mir bewußt machen, ich muß mich davon so besetzen lassen, von der Ausstrahlung dieses Objekts, daß ich es behandle wie einen Mensch.

Inwiefern seid ihr romantischen Bildern, den Topoi abendländischer Todessehnsucht, Erlkönig, Tod und das Mädchen etc. auch erlegen?

Zevallos: Genau diese Lieder haben wir überlegt, mit einzubauen.

Psotta: Aber wo siehst du die Romantik bei uns? Es ist immer Persiflage. Manchmal Zynismus.

Avellaneda: Es bleibt immer am Rande der Schönheit, man muß nur ein klein bißchen Häßlichkeit dazugeben, dann kippt es um.

Welche Bedeutung hat der Kitsch, die Vorlage für eure Arbeit?

Avellaneda: Wir nehmen, was wir finden: weggeworfene Puppen, Heiligenbildchen, die auf der Straße liegen, oder auch Folterbilder in den Zeitungen. Viele der Vorlagen sind im Volk so verinnerlicht, daß klassische Motive noch einmal gefiltert werden, z.B. Jesus mit blondem Haar, blauen Augen, davor zünden die Leute Kerzen an. Den kleinen Jesus aus einem meiner Schaukästen habe ich gefunden auf einem Friedhof. Es gibt eine Tradition, daß beschädigte Jesus oder Marienfiguren nicht weggeworfen werden dürfen, sondern auf den Friedhof gebracht werden. Da kannst du Tausende Versionen von kleinen Jesus und Marias sehen, ohne Kopf, verbrannt. Das ist übrigens auch ein wichtiger Geschäftszweig in Peru: der Verkauf dieser kleinen Jesus -Marias.

Interview: Dorothee Hackenberg