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Archiv-Artikel

… DER SCHWARZFAHRER? Ungemütliche Zeiten verleben

Von KO

Mittwochmorgen, die U-Bahn rollt in den Neuköllner Bahnhof Schönleinstraße. Je drei Kontrolleure in orangefarbene Westen springen in die Abteile. „Fahrkarten bitte!“ Auch den Bahnsteig bevölkern Westenträger und Polizisten – Ticketlose werden aus den Zügen zu ihnen verwiesen. Verschreckte Blicke im Abteil. „Jetzt dreht die BVG völlig ab“, raunt eine Studentin ins Handy. „Bin ich ein Schwerverbrecher oder was?“, meckert eine Frau. Auch der Zugführer ist genervt, appelliert per Ansage an die Kontrolleure: „Jungs, ein bisschen hinnemachen müsst ihr schon!“

Schwerpunktkontrolle nennt die BVG das. Die gebe es in Berlin schon lange, versichert BVG-Sprecherin Petra Reetz. Seit April nun aber wieder verstärkt im Monatstakt. Zur konzertierten Abschreckung von Gratisfahrern. Am Mittwoch lohnte die Ausbeute: 156 Fahrscheinlose ertappten die Kontrolleure in zwei Stunden. „Beachtlich“, staunt auch Reetz. Schnitt seien 4 Prozent Schwarzfahrer pro Kontrolle. Macht 20 Millionen Euro Miese jährlich. Oder 33 neue Doppeldeckerbusse.

Auch im Nachbarstädtchen Potsdam bläst man zu Schwerpunktkontrollen auf Schwarzfahrer. Nur anders: Bisher steigen Kontrolleure uniformiert an der Haltestelle ein – und Schwarzfahrer schnurstracks aus. Am Wochenende hielten jetzt Straßenbahnen zusätzlich auf offener Strecke, um die Kontrolleure aufzusammeln, ohne Chance für Flüchtende. Den Verkehrsbetrieb Potsdam freut’s: Freitagabend wurden so 83 Schwarzfahrer auf nur einer kurzen Strecke erwischt – sonst sind es wochenends rund 30 im Gesamtnetz. „Test erfolgreich“, vermeldete die Zentrale. Zu Verspätungen sei es nicht gekommen.

Der Berliner Fahrgastverband findet die Aktionen okay. „Für viele mag das tatsächlich martialisch wirken, aber Kontrolle muss sein“, so Sprecher Jens Wieseke. Dennoch: „Alles muss verhältnismäßig bleiben, kein Kunde darf verschreckt werden.“

Freuen dürfte die Herbstoffensive die Knackis in der JVA Plötzensee: Ein Drittel der Belegschaft machen dort die notorischen Schwarzfahrer aus (die taz berichtete). Sie dürften bald ein paar Schicksalsgenossen mehr begrüßen. Und geteiltes Leid ist ja bekanntlich halbes Leid. KO

Foto: ap