… DER 20.000.000. TOURIST? : Ausgehen und rumstehen
Es muss irgendwann Anfang oder Mitte der Neunziger gewesen sein: Damals unterhielt sich der Autor dieser Zeilen mit einem Taxifahrer über die Tourismusflaute und die Frage, ob sich das lahmende Interesse an der nicht mehr geteilten Stadt irgendwann erholen würde. Schwierig, lautete beider Fazit: Die Mauer, jahrzehntelang verlässlicher Touristenmagnet, war praktisch spurlos verschwunden, im Osten dominierte immer noch ein großer weißer Fleck den inneren Stadtplan, und Metropolen gab es weiß Gott aufregendere im restlichen Europa. Es kam irgendwie ganz anders.
So anders, dass „Visit Berlin“ (ehemals Berlin Tourismus Marketing GmbH) für das laufende Jahr einen neuen, runden Rekord vermelden kann: Erstmals ist die 20-Millionen-Grenze bei den Übernachtungen durchbrochen. Am Donnerstag wollen die Stadt-Werber gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister die genauen Zahlen offiziell bekanntgeben. Der eigentliche Clou: Noch zu Beginn des Jahrtausends hatten die Experten erst für das Jahr 2015 mit diesem Besucheraufkommen gerechnet. 1990 kamen keine 8 Millionen im Jahr.
Auch die anderen Indizes im Beherbergungsgewerbe steigen in schwindelerregende Höhen: bei den Umsätzen von knapp vier (1998) auf gut neun (2010) Milliarden Euro, bei der Bettenzahl von rund 75.000 (2001) auf 110.000 (2010). Die Hotelbranche expandiert, als gäbe es kein Morgen, überall wird gebaut, etwa am Zoo, wo nächstes Jahr das Waldorf Astoria mit Prunk und Pomp eröffnet.
Wer hätte das gedacht, damals. Aber heute strömen die Menschen aus den nichtigsten Anlässen in die Stadt, um sich die Beine in den Bauch zu stehen, sei es ein schmutziger Eisbär, die fünfte Frida-Kahlo-Retrospektive oder ein noch größerer Ikea-Markt. Berlins Taxifahrer müssten eigentlich zufriedene Menschen sein. CLP Foto: dapd