■ § 218: Gegen Bayern klagen?: Karlsruhe ist der falsche Weg
Das Gedächtnis ist leider oft kurz. Dabei liegt 1993 noch nicht so lange zurück. Sieben Männer und eine Frau befanden damals, daß eine Fristenregelung nicht verfassungsgemäß wäre und setzten dem Parlament ein höchst widersprüchliches und frauenfeindliches Urteil als Arbeitsgrundlage vor.
In der Folge hat der Bundestag nach langer Konsenssuche einen Kompromiß beschlossen, der den Hardlinern der Regierungsfraktion einiges abverlangt hat. Vor allem aber mutet das neue Gesetz den Frauen viel zu. Der bayerischen Staatsregierung reicht dies freilich nicht mehr. Dieses Mal will Bayern allerdings nicht mehr selbst den Weg der Klage gegen das ungeliebte Bundesgesetz gehen. Statt dessen bastelt die Staatsregierung einfach ein eigenes Gesetz, das wesentlich restriktiver ist als das Bundesgesetz und spielt ansonsten den Unschuldsengel, der brav dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVG) nachkommt. Sollen doch die anderen klagen!
Fraglich ist, ob das BVG im Falle einer Klage alle vom Bundesgesetz abweichenden bayerischen Regelungen verwerfen würde. Für die betroffenen Frauen haben Karlsruher Entscheidungen bisher wenig Anlaß zur Freude geboten. Welchen Grund sollten sie heute haben, auf das Verfassungsgericht zu hoffen?
Daß Bayern einfach Bundesrecht bricht, ist ein Skandal, den sich politisch eigentlich keine Bundesregierung leisten kann. Deswegen ist jetzt zuallererst die Politik gefragt. Sie hat aus einem sehr widersprüchlichen Urteil ein Gesetz gemacht, das die CDU/CSU ausdrücklich mitverhandelt hat und dem die meisten der Koalitionsabgeordneten zugestimmt haben. Der politische Konflikt, der sich darüber jetzt zwischen Bonn und München entzündet hat, muß auch politisch ausgetragen werden. Die Bundesregierung muß für die Umsetzung des Gesetzes sorgen. Artikel 37 GG legt im sogenannten Bundeszwang fest, daß die Bundesregierung ein Land zwingen kann, gesetzlich verankerte Bundespflichten einzuhalten. Bei der Atomaufsicht hat die Bundesregierung keinerlei Schwierigkeiten, immer wieder zu diesem Instrument zu greifen. Warum also lassen sich Kohl und Schmidt- Jortzig nun in der Abtreibungsfrage von Stoiber auf der Nase rumtanzen? Rita Grießhaber
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