"Das ist kein Neuanfang"

Für Helmut Digel, Vizepräsident des Internationalen Leichtathletikverbandes, steht der dopende Athlet in der Verantwortung. Mitgefühl für geständige Radler kann er nicht aufbringen.

taz: Herr Digel, wie beurteilen Sie denn die Dopinggeständnisse der letzten Tage?

Helmut Digel: Ich glaube, dass die Geständnisse sehr hilfreich sind, weil sie das, was als Halbwissen schon lange existiert hat, bestätigen. Nun haben wir die empirischen Belege. Früher gab es Verdächtigungen, die in der Regel sehr schnell bestritten werden konnten. Das führte dazu, dass die Skandale zwar nach oben kamen, aber sehr schnell auch wieder unter den Tisch gekehrt wurden.

Die Dopingsünder Christian Henn und Rolf Aldag dürfen weiter im Radsport arbeiten. Ist das richtig?

Wir haben uns in Deutschland daran zu erinnern, dass wir im Zuge der Vereinigung die Entscheidung getroffen haben, dass Menschen, die in das Doping involviert waren, im Sportsystem nicht beschäftigt werden können. Daran sollten wir uns auch in den aktuellen Fällen halten, Ich halte sehr wenig davon, einen Neuanfang zu starten und dabei auf die gleichen Leute zu setzen. Das kann kein Neuanfang sein.

Aus welchem Grund?

Herr Ullrich ist ein Millionär. Und er hat seine Millionen erwirtschaftet in einem Gewerbe, in dem man offensichtlich auf Betrug gesetzt hat. Nun kommt es darauf an, die Reichweite des Betruges zu ermessen, bevor man öffentlich Mitleidsreaktionen artikuliert. Dafür habe ich nun gar kein Verständnis. Mitgefühl muss man haben mit jenen Athleten, die sich nach wie vor bemühen, auf saubere Weise Leistung zu erbringen. Die haben unseren Schutz verdient. Es geht doch nicht darum, dass wir die Betrüger schützen.

Die Reueshow sollte also nicht folgenlos bleiben?

Das sind doch alles gut beratene Äußerungen. Da stehen ganze Anwaltskartelle als Berater zur Verfügung, die den Athleten das sagen, was sie zu sagen haben. Das hat zur Folge, dass sie nur über Delikte sprechen, die gemäß unseren Regeln verjährt sind. Auch wenn die nun erfolgten Geständnisse auch hilfreich sind, sie haben über das Geständnis von Bert Dietz hinaus keinen weiteren Erklärungswert. Die entscheidende Leistung hat Bert Dietz erbracht und nicht diejenigen, die auf Dietz reagiert haben.

Sind die politischen Reaktionen auf die Geständnisse hilfreich? Innenminister Schäuble will das Antidopinggesetz ja nun noch vor der Sommerpause verabschiedet sehen.

Ich verstehe ja, wie Politiker heute in solchen Situationen offensichtlich reagieren müssen, aber eines muss man wissen: Das Halbwissen über den Dopingbetrug hatten Politiker über Jahrzehnte. Und die Forderungen nach einer staatlichen Intervention gibt es seit 1976. Insofern ist Empörung und Heuchelei nicht angebracht. Aber mit einer schnellen Verabschiedung des Gesetzes ist es nicht getan. Man muss sich fragen, mit welchen Strukturen das Gesetz vollstreckt wird: Welche Staatsanwaltschaften stehen zur Verfügung? Welche Experten gibt es, die in der Lage sind, verdeckt zu ermitteln?

Sind Sie denn damit zufrieden, wie das Gesetz formuliert ist? Nur der Besitz größerer Mengen an Dopingmitteln soll ja unter Strafe gestellt werden.

Ich war immer für ein echtes Antidopinggesetz, mit dem Athleten strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie nur mit der kleinsten Menge verbotener Mittel erwischt werden. Nur dies wäre abschreckend.

Die Radsportszene verweist immer auch auf die anderen Sportarten und behauptet, auch da werde manipuliert.

Das ist durchaus berechtigt. Wir haben positive Dopingproben in allen olympischen Sportarten. Nun müssten die Fachverbände die Enthüllungen im Radsport zum Anlass nehmen, über den gesamten Betrug im Hochleistungssport zu sprechen. Wir haben in keiner anderen Sportart die Situation, dass ein Athlet sich genötigt sehen könnte, ein Geständnis abzulegen. Und deshalb ist für mich die Regelung nach einer sinnvollen Kronzeugenregelung, die Thomas Bach [Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes; Anm. der Red.] erhebt, vollkommen verständlich.

Sie wollen den Sportler mehr in die Verantwortung nehmen. Wie mündig ist denn ein Athlet heute noch?

Wir müssen ihn schlicht als erwachsenen Menschen behandeln. Er kann Nein sagen und er kann Ja sagen. Über diese Kompetenz verfügt er, auch wenn er ein von Experten Verführter ist, wenn Sportmediziner eine entscheidende Rolle spielen. Wir müssen alle im Blick haben, die Teil des Betruges sind. Und das sind sehr viele. Das kann bis hin zu Vorständen in Wirtschaftsunternehmen gehen. Aber eines bleibt: Der Athlet verfügt über seinen Körper alleine. Wenn wir diese Annahme nicht mehr akzeptieren wollen, sollten wir keinen Hochleistungssport mehr betreiben.

Deutsche Leichtathleten beklagen sich des Öfteren darüber, dass sie nicht mithalten können, weil woanders manipuliert wird.

Man möchte gewinnen, wenn man Leistungssport betreibt. Unsere Aufgabe muss es sein, eine Situation zu schaffen, in der man davon ausgehen kann, dass die große Mehrheit der Athleten sich nach den Regeln richtet. Das Entscheidende ist, dass die Mehrheit der Beteiligten davon ausgeht, dass die Regeln sinnvoll sind. Im Radsport war das anders. Die haben gesagt: Wir alle dopen und das ist unsere Regel.

Das ist also in der Leichtathletik anders?

Wir sind in der gefährlichen Situation, in der keiner weiß, wie viele manipulieren und wie viele sauber sind. Auch weil sich Sportler gegenseitig verdächtigen, brauchen wir einen grundsätzlichen Neuanfang. Wir müssen einen neuen Konsens erreichen, für den sich auch die Athleten engagieren müssen. Sonst kann es nicht gelingen, die Öffentlichkeit auf Dauer zu überzeugen, dass wir in der großen Mehrheit einen sauberen Hochleistungssport durchführen.

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