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30 Jahre taz im Netz „Wir stehen vor einem Dilemma“

Wir feiern 30 Jahre taz im Netz! Aus diesem Anlass sprechen wir über den Zustand des Internets damals und heute mit den Di­gi­tal­ex­per­t*in­nen Magdalena Hess und Markus Beckedahl.

Ikonisch: die erste Homepage der taz 1996 Foto: S. Orge/ C.P.I.

taz: Herr Beckedahl, die taz ist seit 1995 frei im Internet zugänglich. Waren Sie da auch schon im Netz?

Markus Beckedahl: Ich kam nur über den Computerraum meiner Schule ins Internet, das damals vor allem aus Yahoo bestand. Ab 1997 hatte ich dann eigenes­ Netz und habe die taz gelesen – 20 Uhr hatte ich schon die Nachrichten vom nächsten Tag!

taz: Frau Hess, wann waren Sie das erste Mal im Netz und wie haben Sie es erlebt?

Magdalena Hess: 2015 bekam ich zum 13. Geburtstag Geld geschenkt, von dem ich mir auf Ebay Kleinanzeigen sofort ein Handy gekauft habe. Dann bin ich direkt zu Instagram, Youtube, solche Sachen. Social Media war für mich erst vor allem ein Vernetzungsraum mit Mitschüler*innen.

Bild: Grüne Jugend
Magdalena Hess

ist Beisitzerin im Bundesvorstand der Grünen Jugend, Klimaaktivistin und Mit­initiatorin der Kampagne #ReclaimTikTok.

taz: Sie stehen mit Ihren Erfahrungen stellvertretend für Ihre Generationen. Der eine hat noch selbst Webseiten gebaut, die andere nutzt die vorhandenen Plattformen.

Hess: Durch mein politisches Engagement wurde auch das Internet für mich zum Werkzeug für politische Arbeit. Social Media verschafft dir da einen niederschwelligen Einstieg in den digitalen Raum. Man kann ohne Vorkenntnisse mitarbeiten.

Beckedahl: Ich habe noch die Hälfte meiner Zeit damit verbracht, HTML um einen Text zu basteln, damit er ins Netz kommt. Irgendwann gab es Blogsoftware, vergleichbar mit einem Content-Management-System. Eine Revolution! Ich konnte endlich schreiben und musste mich nicht mehr mit der Verpackung beschäftigen. Jetzt ist man, wie Magdalena sagt, nicht mehr abhängig von der Technik, aber dafür von den Konzernen.

taz: … die in der Hand von nur noch wenigen Menschen sind.

Beckedahl: Und deren überaus erfolgreiches Geschäftsmodell besteht darin, uns zu überwachen, unsere Aufmerksamkeit zu binden und Werbung auszustrahlen. Wir stehen als Ak­ti­vis­t*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen vor einem Dilemma: Einerseits müssen wir die Plattformen nutzen, weil sie so groß sind. Andererseits stärken wir dadurch ihre Macht. Wir haben zarte Pflänzchen wie Mastodon als Alternativen, die müssen wir besser fördern und nutzen.

Bild: imago
Markus Beckedahl

ist Gründer des Zentrums für Digitalrechte und Demokratie und war bis 2022 Chef­redakteur von netzpolitik.org, das er 2002 gründete.

taz: Manche fantasieren von einer europäischen Suchmaschine oder einem sozialen Netzwerk. Was halten Sie für realistisch?

Hess: Kurzfristig müssen wir uns mit den vorhandenen Plattformen arrangieren, wenn wir aktivistisch intervenieren wollen. Trotzdem ist es richtig, einen Diskurs darüber zu führen, wie es anders gehen kann. Deshalb unterstütze ich die Forderung nach europäischen sozialen Netzwerken und bin dafür, dass vorhandene Regeln wie der Digital Services Act ernsthaft durchgesetzt werden.

Beckedahl: Wir müssen die Macht der Konzerne regulieren – indem wir sie zerschlagen und mehr Wettbewerb ermöglichen. Ich bin kein Fan von einem europäischen sozialen Netzwerk oder Google, da versenkt man nur Steuergeld. Statt eine Kathedrale zu errichten, sollten wir den Basar fördern – dezentrale Open-Source-Systeme, die miteinander kommunizieren können und uns nicht überwachen.

taz: Open Source ist super, aber nie so nutzerfreundlich wie kommerzielle Anwendungen.

Beckedahl: Viele Unternehmen investieren in Open-Source-Infrastruktur, aber nicht in Benutzerfreundlichkeit. Ich nutze seit 20 Jahren LibreOffice – es funktioniert weitgehend wie Microsoft Office, sieht aber nicht so gut aus. Microsoft optimiert ständig. Nutzerfreundlichkeit bei kritischer Infrastruktur könnte eine staatliche Aufgabe sein.

taz: Frau Hess, Anfang 2024 haben Sie mit anderen die Kampagne #ReclaimTikTok gestartet, um die Präsenz der AfD und AfD-naher Ak­teu­r*in­nen zurückzudrängen. Wie kam das genau?

Hess: Mich hat beschäftigt, wie Aktivismus heute aussehen kann und wie man progressive Kräfte aus der Defensive holt. Wir können die Plattformen nicht der Gegenseite überlassen. Statt viel Energie in einen schönen Account einer Initiative zu stecken, wollten wir deshalb möglichst viele befähigen, ihre eigenen Botschaften zu verbreiten. Wir haben Kanäle zum Vernetzen gegründet, Grund­lagen-Workshops für Tiktok organisiert und unseren Appell an Parteien, Verbände und Institutionen verschickt.

taz: Waren Sie erfolgreich?

Hess: Bei der letzten Bundestagswahl hatte nicht die AfD, sondern die Linke die meisten Aufrufe auf Tiktok. Das hängt mit vielen progressiven Menschen zusammen, aber auch mit uns. Wer als Partei gegen die AfD bestehen will, muss alle Ebenen – auch Kreisverbände – befähigen, auf Plattformen präsent zu sein. Man muss nur die Form anpassen: statt 20 Minuten lieber zwei bis fünf reden in einfacher Sprache.

taz: Welche Projekte, Strukturen, Ak­teu­r*in­nen sehen Sie netzweit, die wirklich gut und neu und innovativ sind?

Beckedahl: Konstruktiver Journalismus ist eine ernst zu nehmende Reformbewegung gegen die Nachrichtenmüdigkeit vieler. Er arbeitet lösungsorientiert, bietet Perspektivenvielfalt und geht in den Dialog mit dem Publikum.

Hess: Mir fällt keine konkrete Akteurin ein, aber eine Taktik: Wir sollten Inhalten, die wir gut finden, bewusst unsere Aufmerksamkeit schenken. Aufmerksamkeit ist eine Währung auf diesen Plattformen.

taz: Was wünschen Sie sich von der taz?

Beckedahl: Weiterhin frei zugänglich sein, experimentieren, neue Erzählformen ausprobieren, unabhängig bleiben.

Hess: Ich lese die taz gern – nicht nur, weil sie kostenlos online ist, sondern weil sie Menschen und Bewegungen zeigt, die sonst wenig Beachtung finden. Ihr könntet noch stärker auf diejenigen schauen, die sich gegen Konzernmacht stellen.

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