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Antisemitismus in der Technoszene Kein Ideal der Clubkultur

Bei den Anschlägen der Hamas am 7. Oktober kamen auch 364 Besu­che­r*in­nen des Supernova-Festivals um. Wieso die Clubszene zu lange geschwiegen hat, erklärt Nicholas Potter im Gespräch.

Das Tribut eines Opfers, die der Hamas Attacke auf dem Supernova Festival zum Opfer fiel. REUTERS

taz lab | Nicholas Potter ist britischer Journalist und schreibt über Neonazis und Nahost, Subkulturen und soziale Bewegungen, Antisemitismus und Rassismus. Er ist Herausgeber des Buches „Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen“, 2023 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Er studierte in London und Berlin.

taz lab: Herr Potter, Sie befassen sich schon seit einiger Zeit mit Antisemitismus in der Clubkultur. Wieso?

Nicholas Potter: Beruflich beschäftige ich mich seit Jahren mit der extremen Rechten. Zum Abschalten gehe ich ins Berghain. Mich hat genervt, dass Themen wie Antisemitismus, aber auch Sexismus und Rassismus in die Subkultur überschwappen. Eigentlich war die Clubkultur für mich ein Ort, wo die Leute progressiv, weltoffen, und tolerant sind. In den letzten Jahren musste ich aber feststellen, dass die Szene ein massives Antisemitismusproblem hat. Seit dem 7. Oktober bin ich schockiert darüber, was Leute in der Szene sagen.

Was denn?

Der Nahostkonflikt zerreißt die elektronische Musikszene gerade vollkommen. Eine Polarisierung, die ich in der Szene noch nie gesehen habe. Viele DJs, Clubs und Musikmagazine äußern sich klar antiisraelisch. Ich sage bewusst nicht propalästinensisch. Aber das ist eine Form von Delegitimierung des jüdischen Staats, die man als antisemitisch bezeichnen muss. Die Gräuel­taten der Hamas vom 7. Oktober werden als legitim, gar heldenhafter Widerstand romantisiert.

Weite Teile der Clubszene haben sich bis heute nicht solidarisiert. Warum?

Die kurze Antwort ist: Antisemitismus. Die längere Antwort, dass man ein gewisses Feindbild kultiviert hat und dieses am 7. Oktober plötzlich zerbrochen war. Opfer wurden Täter, und Täter wurden Opfer. Das war schon immer eine vereinfachte Sichtweise auf den Nahostkonflikt, die der ganzen Komplexität niemals gerecht wird. Viele projizieren sehr viel auf den jüdischen Staat. Für sie steht er als das ultimativ Böse in der Welt. Man hat dieses Feindbild, und plötzlich wird Israel brutal angegriffen.

Was waren die Reaktionen in der Szene darauf?

Ich habe zwei Phasen beobachtet. Nach dem Angriff gab es zunächst Schweigen, da hat niemand was gesagt. Bis Israel mit Luftanschlägen reagierte. Das alte Feindbild war wiederhergestellt. Man konnte sehr bequem alles andere ignorieren, was auf dem Supernova passierte oder in den Kinderzimmern der Kibbuzim im Süden des Landes. Man fokussierte sich allein auf die Dämonisierung Israels. Die einzigen Solidaritätsbekundungen gab es für Menschen in Gaza, die durchaus leiden.

Was erwarten Sie von der Clubszene?

Dass sie Brücken baut zu der Clubszene in Israel. Zu den ganz vielen traumatisierten Überlebenden. Es gibt Leute, die immer noch ihre beste Freundin vermissen. Dafür gibt es kein Mitgefühl in der internationalen Szene. Und dass sie antisemitischen Terror als Terror benennen und entsprechend verurteilen.

Im Gespräch: Nicholas Potter

Nicholas Potter ist Journalist, Forscher und Mitherausgeber von „Judenhass Underground" (Hentrich & Hentrich). Er arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung. Seine Forschung hat den Schwerpunkt Neo-Nazis, Rechtsextremismus, Subkulturen und sozialen Bewegungen. Er schrieb auch für die taz.

Ist das ein neues Problem?

Die Szene wollte schon immer politisch sein. Realistisch heißt das aber nicht, dass jede Person, die eine Pille im Berghain schmeißt, automatisch was politisch Linkes macht. Nur im besten Fall können diese Orte emanzipatorisch sein. Über die Jahre wurde die Szene zunehmend kommerzialisiert, heteronormativ, sehr weiß und bis neulich auch super männlich. Sprich, man war plötzlich ziemlich weit weg von dem Ideal der Clubkultur. Techno hat keine Songtexte. Möchte man sich politisch äußern, geht das auf anderem Weg. Es geht vielmehr darum, wie man das Politische durch die sozialen Medien kommuniziert.

Was kann man konkret gegen den Antisemitismus in der Szene unternehmen?

Eigentlich stehen wir ganz am Anfang einer Riesenaufgabe. Ein großes Problem ist, dass viele meinen zu wissen, was Antisemitismus ist oder auch was er nicht ist. Klar, es gibt auch antizionistische Israelis in der Szene. Wir müssen eine Vielzahl an jüdischen Perspektiven befragen.

Die Tradition von Antisemitismus ist lang, auch in linken Bewegungen. Es ist umso wichtiger, dass wir das ernst nehmen. Sowohl von den Linken als auch den Rechten. Zum Beispiel, die CDU, aber auch die Springerpresse oder AfD zeigen allzu gern nur auf Mi­gran­t*in­nen und sagen, dass sie antisemitisch sind. Die Debatte wird instrumentalisiert, um rassistische Ressentiments zu schüren. Ich glaube, wer Antisemitismus bekämpfen möchte, muss auch in den eigenen Reihen anfangen. Nur so können wir Antisemitismus als Ganzes bekämpfen.

Darüber diskutiert Nicholas Potter auch auf dem taz-Kongress am 27. April 2024. Sichern Sie sich ihr Ticket und diskutieren Sie mit.