piwik no script img

CDU/CSU obsessiv Die Mär von Neuwahlen

Speziell die Chefs der Unionsparteien tun so, als sei die Bundesregierung am Ende und beschwören vorgezogene Bundestagswahlen. Doch wie sollte das genau gehen – und wozu?

Gute Idee oder doch nur G'schichten aus'm Paulanergarten? Merz und Söder trommeln für Neuwahlen picture alliance/dpa/Peter Kneffel

taz FUTURZWEI | In der politischen Öffentlichkeit nimmt das Spekulieren über ein Ende der Ampel-Bundesregierung zu, speziell die CDU/CSU-Chef Merz und Söder sprechen strategisch obsessiv von „Neuwahlen“. Da ist es angemessen, daran zu erinnern, wie Neuwahlen in einer laufenden Legislatur herbeigeführt werden könnten und wer daran welche politischen Interessen haben könnte

Der verfassungsrechtliche Rahmen: Im Grundgesetz, Artikel 68, gibt es zwei Instrumente, mit denen eine Regierungswechsel oder Neuwahlen erreicht werden können. Einmal das konstruktive Misstrauensvotum. Die Opposition muss einen im Plenum des Bundestages mehrheitsfähigen Kandidaten als Alternative zum Kanzler zur Abstimmung zu stellen. Erhält dieser Gegenkandidat eine Mehrheit wird er Kanzler. Zum anderen kann der Kanzler eine allgemeine oder eine an einen Gesetzentwurf gebundene Vertrauensfrage stellen. Findet die Vertrauensfrage keine Mehrheit im Parlament, muss er zum Bundespräsidenten gehen und ihm erklären, dass er keine regierungsfähige Mehrheit mehr hat. Der Bundespräsident wird, nach sorgfältiger Prüfung, Neuwahlen ansetzen.

In der Geschichte der Bundesrepublik ist das Misstrauensvotum oder die Vertrauensfrage mehrmals zu grundsätzlichen Politikwechseln genutzt worden. 1972 hat der Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) versucht, Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Amt zu drängen. Die SPD hat, wie mittlerweile belegt ist, einen CDU-Abgeordneten mit fünfzigtausend Mark bestochen und die DDR-Führung einen zweiten. Diese Enthaltungen waren für das Scheitern des Missbrauchsvotums wesentlich. Brandt hat dann in der Folge im selben Jahr mit einer verlorenen Vertrauensfrage Neuwahlen erzwungen, bei der sich eigene Leute enthielten. SPD und FDP gewannen diese Neuwahl klar und konnten gestärkt weiterregieren.

Schröder und die selbstorganisierte Vertrauensfrage

1982 hat Helmut Kohl (CDU), nachdem die vier FDP-Minister das sozialliberale Kabinett verlassen hatten, Brandts Nachfolger Helmut Schmidt ( SPD) mit Hilfe der FDP und eines gewonnenen Misstrauensvotums abgelöst. Er stellte dann die Vertrauensfrage, verlor absichtlich und fuhr in der Folge einen großen Wahlsieg ein. Er hat damit seine bis ins Jahr 1998 reichende Kanzlerschaft begründet. Seine offensive Europa-Politik und die Wiedervereinigung haben die Republik tief geprägt. Die FDP regierte mit Kohl weiter, war in ihrer Bundestagsfraktion aber gespalten und verlor an Zustimmung. So flog sie bei den parallel stattfindenden Landtagswahlen in Hessen aus dem Parlament. Holger Börner (SPD), der zuvor die Grünen mit der Dachlatte verjagen wollte, machte dann Joschka Fischer zum ersten Grünen Minister.

taz FUTURZWEI im Abo

taz FUTURZWEI ist das Magazin für Zukunft und Politik, eine Kooperation der taz und der FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfähigkeit. Das Abo umfasst jährlich vier Ausgaben und kostet 34 Euro. Als Dankeschön erhalten Sie einen Einkaufsgutschein für den taz Shop in Höhe von 10 Euro.

Jetzt hier bestellen

Mit Lea Bonasera, Kirsten Fehrs, Dana Giesecke, Jonathan Franzen, Anders Levermann, Wolf Lotter, Belit Onay, Katja Riemann – und natürlich Harald Welzer.

Zur neuen Ausgabe

2005 hat Gerhard Schröder (SPD) die Vertrauensfrage gestellt, selbstorganisiert verloren, und auf diesem Weg Neuwahlen herbeigeführt. Nach dem Wahlsieg der CDU wurde Angela Merkel Kanzlerin einer Großen Koalition mit der SPD. Rot-Grün war Geschichte. Merkel blieb bis 2021 im Amt. Die SPD war damals nicht bereit, ihren mit den Grünen eingeschlagenen ökologischen Modernisierungskurs fortzusetzen. Bis auf den Ausstieg aus der Atomwirtschaft 2011, die Grenzöffnung für Flüchtlinge - vor allem aus Syrien - 2015 und die fortlaufende Vertiefung der Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen Russlands, war Merkels Kanzlerschaft eine Zeit des Weitblick vermeidenden Stillstands.

Wie steht es heute um Neuwahlen, ein Misstrauensvotum oder die Vertrauensfrage?

Die seit zwei Jahren regierende Ampel hat, mit den Jahrhundertkrisen konfrontiert, viel erreicht. Sie hat strukturelle, nicht wieder auszureißende Pflöcke für die große ökologische und digitale Transformation eingeschlagen, die Abhängigkeit von fossilen russischen Energieträgern beendet, den Umstieg auf regenerative Energieversorgung mit festen Jahreszahlen auf den Weg gebracht. Die Bundesrepublik ist im Systemkrieg fest an der Seite der Demokratien angedockt. Sie arbeitet an der Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, steht fest an der Seite der Ukraine und Israels in deren Überlebenskampf gegen Russland und die terroristische Hamas. Dennoch: Gäbe es heute Neuwahlen, hätte die Ampel nach den Umfragen keine Mehrheit mehr.

Wer könnte vor diesem Hintergrund und jenseits der politischen Rituale des Schlechtredens der jeweiligen Regierung Interessen an Neuwahlen haben ?

Die CDU/CSU kann den Weg eines konstruktiven Misstrauensvotums gegen Olaf Scholz nicht einschlagen. Sie bekäme für Friedrich Merz als Herausforderer keine Mehrheit im Bundestag zusammen, mit einem anderen Kandidaten auch nicht. Eine Koalition der CDU als Juniorpartner der SPD unter Kanzler Scholz - ohne die Grünen – wäre möglich, würde aber die CDU zu substantiellen Kompromissen und einem reibungslosen Mitregieren zwingen. Ob sich dieser politische Mut dann bei den nächsten Bundestagswahlen mit einer Steigerung ihrer Zustimmungswerte über die 30 Prozent hinaus auszahlen würde, ist offen.

SPD erscheint Abwärtstrend hilflos ausgeliefert

Die SPD hat, jenseits der auf Sicht fahrenden Politik ihres Kanzlers Scholz, keine eigenen strategischen Vorstellungen davon, wie sie die Republik in die ökologischen Moderne führen will. Sie erscheint ihrem Abwärtstrend hilflos ausgeliefert. Ihre aktuellen 15 bis 18 Prozent dürften noch nicht ihr tiefster Zustimmungswert sein. An einem Bruch der Koalition kann sie kein Interesse haben. Sie muss darauf setzen, dass sich Erfolge ihres Regierens bei den regulären Wahlen in zwei Jahren mit wieder steigender Zustimmung auszahlen werden.

Die aktuelle taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI N°27: Verbrauchte Ziele

Das 1,5 Grad-Ziel ist verloren, das 2 Grad-Ziel wohl auch. Braucht es einen Strategiewechsel und wie sieht der aus?

Wir machen Ernst IV, Schwerpunkt: Klimaziele

Mit Lea Bonasera, Kirsten Fehrs, Dana Giesecke, Jonathan Franzen, Anders Levermann, Wolf Lotter, Belit Onay, Katja Riemann – und natürlich Harald Welzer.

Zur neuen Ausgabe

Die FDP verhält sich in der Ampel destruktiv und planlos ihre Koalitionspartner provozierend. Viele ihrer links-, wirtschafts- und nationalliberalen Wähler erreicht sie nicht mehr. Ihre Zustimmungswerte schwanken zwischen drei und fünf Prozent. Das Risiko, bei Neuwahlen aus dem Bundestag zu fliegen, ist groß. Sie kann an einer Neuwahl, bei Strafe des selbstgewählten Untergangs, kein Interesse haben.

Die Grünen haben wegen der konsequent zukunftsorientierten Wirtschafts- und Energiepolitik von Vizekanzler Robert Habeck den Kern ihrer Wählerschaft bei 13 bis 15 Prozent befestigt. Ihre irrlichternde Politik in vielen anderen Politikfeldern schadet ihr bei diesen Wählern offensichtlich nicht. Neuwahlen müssten sie trotz der gegenwärtigen Hasskampagnen und ihrer Offenheit für Schwarz-Grün zwar nicht fürchten, doch mit kompromissbereitem Regieren die Transformation noch zwei Jahre weiter erfolgreich voranzubringen, würde Ihre Chancen verbessern, doch noch zur Kanzlerpartei aufzuwachsen.

Nicht mehr als ein Medienhype

Der Aufstieg der rechtsradikalen AfD und jetzt auch noch des linkspopulistischen BSW ist für Liberaldemokraten schlecht zu ertragen. Aber beide haben keine Chance, die Substanz der Demokratie in der Bundesrepublik ernsthaft zu gefährden. Die AfD wird weder im Bund mitregieren noch in den Ländern in Regierungen eintreten oder Ministerpräsidenten stellen. Die Vorstellung Sahra Wagenknecht könnte an der Seite eines SPD- oder CDU-Chefs den Umbau der Bundesrepublik zum einen Einwanderungsland aufhalten, bei Putin wieder Gas und Öl bestellen und auch noch die EU stutzen, ist wenig weitsichtig. AfD und BSW haben an schnellen Neuwahlen ein Interesse, um ihr ideologisch begründetes Versprechen an die Wähler bringen zu können, dass mit Stimmen für sie jeder Aufbruch in die nachfossile und digitale Weltgesellschaft eingestellt und stattdessen die Zeit angehalten wird.

Alles in allem ist das Gerede über Neuwahlen nicht mehr als ein gut gehender Medienhype. An den Streitereien der Ampel wird sich zwar nichts ändern, doch außer in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass die SPD oder Lindner die Nerven verlieren, wird sie daran nicht zerbrechen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.