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Aktivistin aus Belarus „Ich will mein Leben leben“

Aktivistin Vika Biran spricht über die Proteste in ihrem Heimatland, ihre Zeit im Gefängnis und den Grund für das Scheitern der Aufstände.

Für Aktivistin Vika Biran war das Gefängnis schwerer zu ertragen, als sie erwartet hatte Alexandra Kononchenko

taz lab | taz lab: Frau Biran, im September 2020 wurden Sie in Minsk verhaftet, weil Sie gegen die Regierung protestierten. Zwei Wochen waren Sie im Gefängnis. Hat Sie das verändert?

Vika Biran: Diese Erfahrung war für mich schwerer als erwartet. Aber danach kam ich zu der Erkenntnis: Ich will mein Leben leben. Ich möchte mehr Zeit mit meinen Freun­d*in­nen und meinen romantischen Partnerinnen verbringen und künstlerischen Aktivitäten nach­gehen. Durch das Gefängnis habe ich verstanden, wie fragil das Leben ist. Einen Tag bist du o. k, am anderen Tag hast du Repressionen und Krieg. Es gibt keine andere Zeit zu leben als jetzt. Die Tagebuchnotizen aus dem Gefängnis waren außerdem der Anfang meines Buches.

Wie haben Sie die Proteste gegen das Lukaschenko-Regime in Minsk erlebt?

Am Anfang hatte ich das Gefühl von politischer Einsamkeit. Aber diese Einsamkeit wurde abgelöst durch das Gefühl, Teil von etwas Größeren zu sein. Ich meine damit nicht von irgendeiner Nation, sondern Teil von Menschen zu sein, die bereit sind, etwas zu tun, um ihre Zukunft zu ändern.

Wie ist aktuell die Situation für Re­gime­geg­ne­r*in­nen in Belarus?

Sehr schlecht. Viele haben das Land verlassen. Aber manche haben nicht die Möglichkeit, weil sie im Gefängnis sind. Es gibt dort kaum noch NGOs und Aktivismus, nur ein paar Menschen und Initiativen, die im Untergrund agieren. Viele sind zu langen Haftstrafen verurteilt worden, unter anderem wegen Terrorismus. Ihre Haftbedingungen sind sehr schlecht, sie bekommen kaum Vita­mine und Medikamente. Seit dem Tod Nawalnys geht außerdem die Angst um, dass auch belarussische Häftlinge ermordet werden könnten. Deshalb mehren sich jetzt Stimmen, die mit der Regierung verhandeln wollen, um Gefangene freizubekommen.

Warum ist der Aufstand Ihrer Meinung nach gescheitert?

Weil Lukaschenko Unterstützung von Putin bekommen hat. Sowohl finanziell als auch militärisch. Schon 2020 hatte Putin die nächste Etappe des Ukrainekriegs geplant und Belarus war ein Teil davon. Inzwischen werden die belarussische Sprache und Kultur so wenig genutzt, dass einige das Land als Teil Russlands sehen und nicht als unabhängigen Staat.

Sehnen Sie sich danach, zurückzukehren?

Das ist für mich zurzeit leider unmöglich. ich würde sofort im Gefängnis landen: wegen meiner Proteste, meiner journalistischen Tätigkeiten und meiner Face­book-Posts. Noch heute bekomme ich verschiedene Strafen und Vorladungen von der Polizei an meine Adresse in Belarus geschickt, wo ich noch gemeldet bin. Um mich abzumelden, muss ich meine neue Adresse und meinen Arbeitgeber nennen. Aber was wird die Regierung mit diesen Informationen machen? Hoffentlich kann ich irgendwann wieder zurück. Ich stelle mir das so vor: Ich komme mit einem großen Koffer voll deutscher Schokolade, die ich meiner Familie gebe. Und dann fahren wir zusammen zu meiner Schwester und ich habe endlich die Möglichkeit, ihren Sohn zu sehen.