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Russische Kriegswirtschaft „Mögliche Sanktionen alle ergriffen"

Ulrike Herrmann über die ökonomischen Hintergründen des Krieges, die Bedeutung des globalen Öl-Preises und warum Russlands Wirtschaft trotz Sanktionen nicht schrumpft.

Russische Panzer werden weiterhin mit Technologie aus dem Westen versorgt pixabay/ Alexfas

taz lab: Frau Herrmann, was ist im Russland der 90er Jahre schiefgelaufen?

Ulrike Herrmann: Russland war ohnehin in einer schweren Wirtschaftskrise: Die Sowjetunion konnte sich ihr Imperium nicht mehr leisten und die Satellitenstaaten nicht mehr subventionieren. Vor allem aber war die Frage, was man mit dem Staatseigentum macht. Die Idee war, die Staatsfirmen zu privatisieren. Die russischen Bürger haben also Anteile an der Industrie und Rohstoffquellen erhalten. Der einzelne Anteil war allerdings so klein, dass sich damit wenig anfangen ließ. Und zudem verarmten viele Menschen durch die Wirtschaftskrise. Also haben sie ihre Anteile zu Ramschpreisen verkauft. Sie wurden von Leuten aufgekauft, die Zugang zu Krediten hatten und sich das nötige Geld beschaffen konnten. Dies waren Menschen, die dem ehemals kommunistischen Establishment und den Geheimdiensten nahestanden. So hat sich die ehemalige Führungsschicht in kürzester Zeit bereichert, indem sie sich das privatisierte Staatsvermögen angeeignet hat. Das daraus entstandene extreme Gefälle zwischen Arm und Reich hat natürlich einen Unmut ausgelöst. Das Ergebnis ist Putin. Er hat die Schicht der Oligarchen dann zum Teil ausgetauscht und durch Leute ersetzt, die er aus seiner Heimatstadt Sankt Petersburg kannte. Putin profitierte allerdings auch davon, dass der Ölpreis ab 2000 auf dem Weltmarkt wieder stieg. In den 1990er Jahren hatte das Barrel zeitweise nur etwas mehr als 12 Dollar gekostet, und Russland lebt vom Öl.

Als Vorbild für eine klimaneutrale Form des Wirtschaftens nennen Sie die britische Kriegswirtschaft, die private Produktion staatlich gesteuert und Konsumgüter rationiert hat. Verkörpert die russische Kriegswirtschaft auch eine Degrowth-Ökonomie?

Nein, absolut nicht. Eher eine Wachstumsökonomie. Wenn der Staat anfängt, Soldaten anzuwerben und bestens zu bezahlen sowie die Rüstungsindustrie anzukurbeln, dann wächst die Wirtschaft erst mal. Natürlich ist das unproduktives Wachstum, denn da entsteht ja nichts.

Ulrike Herrmann

Jahrgang 1964, ist taz-Wirtschaftsredakteurin. 2022 erschien „Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“. Sie ist zu Gast beim taz lab.

Sind weitere Sanktionen gegen das Putin-Regime sinnvoll?

Die möglichen Sanktionen hat man alle ergriffen. Die Lösung ist nicht, noch weitere Sanktionen zu beschließen. Ein Problem ist, dass nicht alle Länder der Welt bei den Sanktionen mitmachen. Zum Beispiel beim Öl: Es gilt ein Preisdeckel; die Russen sollen nicht mehr als 60 Dollar pro Barrel bekommen. Aber ein Trick ist, dass Indien nun russisches Öl importiert und dann weiterverkauft. Ein zusätzliches Problem ist, dass Russland für seine Waffen immer noch westliche Bauteile verwenden kann. Auch in den neu produzierten Raketen sind westliche Chips gefunden worden. Aufgabe ist jetzt, diesen illegalen Chiphandel zu unterbinden. Wie man das real umsetzen soll, weiß ich allerdings auch nicht.