Männlichkeitsforscherin zu Ost und West : Männer in der Einheitskrise
Soziologin Sylka Scholz forscht zu Geschlechterbildern in Ost und West. Im Interview spricht sie über die Nachwendezeit und den Erfolg der AfD. Sie ist außerdem am 27. April beim taz-Kongress zu Gast.
taz lab | taz lab: Frau Scholz, als Geschlechterforscherin untersuchen Sie Männlichkeit. Sind Männer weicher geworden?
Sylka Scholz: Angesichts der Demonstrationen, die gerade auf unseren Straßen stattfinden, würde ich mir diese Frage so nicht stellen. Aktuell beschäftigen mich mehr die Veränderungen in Richtung einer „härteren“ Männlichkeit, auf welche die Rechtsextremisten und Rechtspopulisten abzielen.
Je weiter Debatten um die Auflösung von Geschlecht und Gleichstellungspolitiken voranschreiten, desto erfolgreicher wird die rechtspopulistische Bewegung. Sie spricht von einer „Krise der Männlichkeit“, die ich als Soziologin in der Empirie jedoch nicht bestätigt sehe. Diese suggerierte Krise wird dann genutzt, um rechtspopulistische Parteien anschlussfähig zu machen. Insgesamt haben wir eine breite Transformation von Männlichkeit, die in unterschiedliche Richtungen geht und teilweise sehr widersprüchlich ist.
Wie unterscheiden sich Männlichkeitsbilder in Ost- und Westdeutschland?
Es gibt eine klare Hierarchie zwischen ost- und westdeutschen Männern. Die hegemoniale Männlichkeit ist westdeutsch. Wir diskutieren sie als Manager- und Unternehmermännlichkeit. Ostdeutsche Männer dagegen sind kaum Teil gesellschaftlicher Eliten und haben weniger berufliche Karrierechancen. Das liegt an der enormen Umverteilung von Ost nach West, die in den 1990er Jahren stattgefunden hat.
Noch heute haben ostdeutsche Männer und Frauen weniger Führungspositionen in großen Unternehmen. Durch die Vererbung von Eigentum werden sich die materiellen Ost-West-Differenzen in den nächsten Jahren noch weiter vergrößern und verfestigen. Ostdeutsche Väter beteiligen sich außerdem mehr an Sorgearbeit und Kinderbetreuung, obwohl der Diskurs um den neuen aktiven Vater wiederum westdeutsch dominiert ist.
Die AfD vertritt patriarchale Geschlechterbilder. Lässt sich der Erfolg der AfD mit gekränkter Männlichkeit erklären, oder ist es eher ein Stereotyp?
Die AfD instrumentalisiert die „Krise der Männlichkeit“ und versucht darüber gesellschaftlich anschlussfähig zu werden. Aber sie bespielen eher antifeministische Stimmungen. Männer regen sich mehr über Veränderungen des Geschlechterverhältnisses und über gendergerechte Sprache auf, als dass sie sagen würden: „Ich bin ein gekränkter Mann.“ Viel ausschlaggebender für den Erfolg sind die Ereignisse im Transformationsjahrzehnt, also in den 1990ern.
Diese Einheitskrise, wie der Historiker Philipp Ther sie nennt, ist im ostwestdeutschen Kontext überhaupt nicht bearbeitet. Wenn das der Fall wäre, hätte die AfD auch nicht so starke Chancen, wenn sie auf Wahlplakaten ruft: „Vollende die Wende!“
Jahrgang 1964, forscht zu Männlichkeit und Geschlechterbildern in Ost und West. Seit 2014 ist sie Professorin für Qualitative Methoden und Mikrosoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Am 27. April wird sie als Gast beim taz lab mit diskutieren. Alle Infos und Details zum taz-Kongress 2024 gibt es in unserem tazlab-Infobrief – einfach hier anmelden.