Zukunft und CDU : Don't work with assholes
Nora Zabel ist 26, Host eines feministischen Podcasts und CDU-Mitglied. Parteifreund Philipp Amthor sagt, sie sei eine »Kommunistin«. Really? Eine Annäherung von Aron Boks.
Von ARON BOKS
taz FUTURZWEI | Niemand will gern mit Leuten zusammenarbeiten, wenn man sich gegenseitig scheiße findet. Meistens muss man das aber trotzdem, irgendwie. Erst recht in einer riesigen Firma, bei der zudem alle wissen, wie ungewiss die eigene Zukunft ist. Nora Zabel, 26, ist CDU-Mitglied und kennt das. Der Parteifreund Philipp Amthor, 30, bezeichnet sie als Kommunistin. Für andere ist sie aber wichtiges Personal für eine Partei, die »moderner« werden will. Heißt für die CDU: jünger und weiblicher, aber politisch nichts Konkretes.
Nora war Social-Media-Expertin im Wahlkampfteam des krachend gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet und müsste zumindest wissen, wie ein Imageproblem entstehen kann. Sie schreibt zudem feministische Artikel und postet auf Instagram ein Bild, bei dem sie vor einem Poster mit dem Spruch »don’t work with assholes« steht. Da will man doch mehr wissen.
»WIE FANDEST DU'S?«
»ICH HAB NUR OLAF GEHÖRT.«
»UND?«
»SEINEN WORTEN FEHLTE DIE SEELE.«
Wir verabreden uns per Direktnachricht im Bundestag. Das ist ihr Arbeitsplatz. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der CDU-Bundestagsabgeordneten Serap Güler.
An diesem Dezembertag des Jahres 2022 hat Bundeskanzler Olaf Scholz gerade im Parlament eine Regierungserklärung abgegeben. Danach »Aussprache« und eine Sitzung des Verteidigungsausschusses. Zu diesem Termin begleiten wir beide »die Chefin«. So wird Güler manchmal von Nora genannt. Manchmal auch Serap. Die beiden halten bei Fragen der Kursgestaltung ihrer Partei zusammen. Dürfen sächsische Parteikolleg:innen rechte Dinge über Asylbewerber:innen in Weihnachtsansprachen sagen, weil die CDU-Dinge im Osten ja etwas anders laufen? Und kann man selbst von »Gleichstellung« sprechen, obwohl von anderen der Begriff »Gleichberechtigung« gewünscht wird, um nicht mit »linken Kampfbegriffen« Wähler:innen zu vergraulen? Güler entscheidet sich für den Kampfbegriff, Nora fordert öffentlich eine Frauenquote, Güler rügt den sächsischen Parteikollegen auf Twitter und Nora checkt die Tweets auf Orthografie.
Die Chefin ist für Nora Teil einer »Brandmauer nach rechts«. Laut dem Politikwissenschaftler Thomas Biebricher könne innerhalb der CDU noch nicht von einem echten Rechtsruck gesprochen werden, sehr wohl aber von einer Suche nach der richtigen Linie. Um wieder in Regierungsverantwortung zu kommen. Aber die Partei käme in diesem Fall vermutlich nicht an den Grünen vorbei. Nur klingt die Idee einer Koalitionsverhandlung zwischen Ricarda Lang und Friedrich Merz für Grüne-Jugend-Leute selbstverständlich furchtbar, mit Menschen wie Nora vermutlich weniger.
Nora hatte die Bundesvorsitzende der Grünen in ihrem Podcast Womensplaining zu Gast, wo die beiden aber nie stritten, sondern ihre einende Rolle als Frauen in der Politik feierten.
Kurzer aufgeschnappter Dialog auf dem Weg in den Ausschuss:
Serap Güler: »Wie fandest du's?«
Nora: »Ich hab nur Olaf gehört.«
»Und?«
»Wie immer – seinen Worten fehlte die Seele.«
Größte Reichweite für flächendeckende Veränderungen
In diesem Moment joggt die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann an uns vorbei, Richtung Ausschuss, und Serap Güler eilt hinterher.
Nora kann im Moment nicht so schnell, sie humpelt etwas, da sie sich beim Fußballspielen das Knie verletzt hat. Wir gehen in die Bundestagscafeteria und trinken Kaffee und Cola Light. Nora trägt einen schlichten schwarzen Cardigan, schwarze Hose und das Haar offen. Sie spricht nur eine Stufe überm Monotonen, aber zugeneigt. Wie ihr politisches Idol Angela Merkel. Die Biografie Die Kanzlerin und ihre Zeit läge immer neben Noras Bett griffbereit, hat sie erzählt.
2017 bekam Nora einen Anruf von Merkel. Ein Dankeschön. Nora war in diesem Jahr die fleißigste Mitarbeiterin im Häuserwahlkampf gewesen. Angela Merkel ist für Nora aber nicht nur ein Vorbild, sondern, sagt sie, der Beweis, dass als Frau in der Politik alles möglich sei – eine Volkspartei bräuchte es dafür aber schon auch. Man hätte dann die größte Reichweite für flächendeckende Veränderungen.
»Willst du wirklich Politikerin werden?«, frage ich sie, bevor wir uns verabschieden.
»Ich will auf jeden Fall politisch wirken!«, sagt sie und erzählt wieder von ihrem Podcast und darüber, sich auch privat mit Politiker:innen aus fast allen Lagern zu vernetzen. Und das auch öffentlich zu zeigen. Zwar würde sie dafür auch immer wieder von der Jungen Union und dem Konrad-Adenauer-Haus ermahnt. Aber aufhören würde sie damit nicht. Sie hatte sich nach dem Wahlkampfjahr entschlossen, einen Master in Politik und Philosophie in Heidelberg zu machen. Weit weg vom Bekannten, lernen, in Kneipen gehen, neue Leute kennenlernen. Was danach kommt, wird sie sehen.
Zu einem vertiefteren Kennenlernen treffen wir uns am Bahnhof ihrer Heimatstadt Boizenburg (Elbe). Einem Zehntausendseelenort im Westen Mecklenburg-Vorpommerns.
Nora holt mich mit dem Auto ab, und zuerst fahren wir zum Hafen.
Nebel schmiegt sich an einen Kutter im Wasser vor uns. Genau hier fand vor zwölf Jahren ein stadttypisches Drachenbootrennen statt, auf dem Nora sich auf einem Boot der Jungen Union wiederfand, gute Gespräche führte und das allein als Anlass nahm, dort gleich Mitglied zu werden. Geblieben wäre sie aber wegen Angela Merkels Rolle und politischem Stil auf Bundesebene, besonders in der »Flüchtlingskrise« 2015. Sie hatte ihre Partei davor nie als konservativ, sondern wertestabilisierend gesehen. Mit den Erinnerungen an die Fluchtgeschichten ihres Großvaters, einem gebürtigen Ostpreußen, und Angela Merkels magischen Worten »wir schaffen das«. Ich erinnere mich daran, wie ich am Abend zuvor etwas trinken gehen wollte und wir uns deswegen in Schwerin getroffen haben, weil »in den Kneipen hier vor allem angetrunkene Nazis rumhängen«. Und während sie weiter von der Wichtigkeit einer stabilen »Mitte« erzählt, klingt sie etwas müde und jedes Wort über Deutschland klingt so nah und sorgenvoll als spräche sie dabei direkt von Boizenburg. Die Probleme, die Merkel bekämpfen wollte, habe Nora hier bei sich zu Hause erlebt: die Unsicherheit gegenüber der Demokratie vieler Ostdeutscher, die vielen Kinder aus sozialschwachen Familien, die im gleichen Milieu versumpfen, die Politikverdrossenheit vieler, das Erstarken der AfD. Ihr Opa und Merkels ruhige, führende Hand – alles Gründe, sich selbst engagieren zu müssen. Und schon als Jugendliche hatte sie etwas gestört, was sie zunächst nur in der Jungen Union beobachtete und was sich in der CDU nach Merkel zunehmend auf Bundesebene andeutet.
Gute Sachpolitiker:innen werden nicht gehört
Damals waren es Jungs, die lieber darüber stritten, wie sie sich auf welchen Weihnachtsmärkten oder Volksfesten präsentieren sollten, als über Antidiskriminierungsarbeit zu sprechen – heute habe sie Angst, dass die CDU in der Opposition zu einer Klientelpartei wird.
»Du meinst eine, die hauptsächlich von Rentner:innen gewählt wird?«
»Ok, es stimmt vielleicht – wir verlieren die meisten Wähler:innen an den Friedhof«, antwortet Nora schnell und lenkt das Gespräch dahin, wo es ihr besser behagt:
Es gäbe so viele gute Sachpolitiker:innen in der CDU. Das Problem: Die höre niemand. Nicht dann, wenn öffentliche Reden anderer Parteikolleg:innen einen »gewissen Beigeschmack« haben, weiter möchte sie das nicht ausführen.
»Das sind Dinge, die Menschen mit normalem Menschenverstand abschrecken, sich überhaupt mit der CDU zu beschäftigen«, sagt sie bestürzt. Bedeute: weniger Wähler:innen mit Migrationshintergrund, weniger junge Menschen.
Zudem bräuchte es laut Nora auch dringend eine Frauenquote in der Partei. Für Angela Merkel funktionierte der Aufstieg auch so, aber generell müssten Frauen dafür ohne Quote laut Nora tendenziell immer einhundert Prozent fleißiger sein und einhundert Prozent mehr Diskriminierung erfahren als Männer. Viele hielten das nicht durch. Merkel schon, aber die habe auch keine Kinder. Und auch das hatte Nora mir gestern in der Kneipe als »das einzig Konservative« an ihr anvertraut: den Wunsch nach einer Kleinfamilie. Vielleicht in Schwerin. Vielleicht mit 30, oder so.
Parteiintern wurde Nora schon vor einiger Zeit ermutigt, für den Vorsitz der Jungen Union zu kandidieren. Sie solle dafür allerdings ihre »feministischen Themen« etwas runterdimmen.
»Aber was soll mir das bringen?«, fragt Nora so irritiert, als hätte ich sie jetzt eben darum gebeten. »Einfach nur, um dann auf diesem Posten zu sitzen?« Angela Merkel würde das genauso sehen. Die habe in ihrer Biografie vor diesem frühzeitigen Hangeln von Posten zu Posten in der Politik gewarnt.
Nora hatte mir davon im Bundestag erzählt, als ich sie gefragt hatte, was sie eigentlich an der SPD störe, der anderen bundesrepublikanischen Volkspartei des 20. Jahrhunderts. Sie hatte dann Olaf Scholz‘ begründungsfreies Versprechen »Klimakanzler« zu sein in einen Kontrast zu Angela Merkel gesetzt, die stets eine »Politik der kleinen Schritte« angestrebt habe. Für Nora ist das der Weg für reale Veränderungen in Deutschland. Besser als progressiv klingende Forderungen, die nie zu etwas führen. Sie nennt die KlimaUnion, eine neue und klimapolitisch sehr ambitionierte Gruppierung in der CDU, in der auch Serap Güler wirkt. Die KlimaUnion strebt Klimaneutralität bis 2040 und anderes an, was in der Partei längst noch nicht mehrheitsfähig ist. Irgendwann driftet unser Gespräch hinüber zur Angst vieler junger Menschen vor dem Klimawandel und der Wut vieler Aktivist:innen auf die Politik. Nora wolle gern dort zuhören, um das Vertrauen dieser Leute zurückzugewinnen, nur klingt ihre Stimme irgendwann zum ersten Mal genervt. »Ich fände es besser, wenn man wirklich Verantwortung übernimmt und sich in Parteien engagiert, als nur Symbole zu senden«, sagt sie. Genau das hatte Merkels langjähriger Minister Thomas de Maizière auch neulich bei Markus Lanz im ZDF gesagt. Nora hat das retweetet. Aber, wie gesagt: Ob sie selbst diese Verantwortung übernimmt, weiß sie noch nicht. Vielleicht wird sie auch erst einmal Lehrerin. Kinder würden einen so unverbrauchten Blick auf die Welt haben.
Irgendwann Kanzlerin
»Trotzdem bringt ein höherer Posten in der Politik größeren Einfluss«, sage ich.
»Aber dann hätte ich hier in Mecklenburg-Vorpommern bleiben müssen«, sagt Nora, jetzt wieder in ihrem warmen Erklärton. Sie war Social-Media-Referentin der CDU-Landtagsfraktion und wäre 2019 fast im Kreistag gelandet. »Ich müsste wieder viele CDU-Veranstaltungen besuchen, Wahlkämpfe machen und mich hier vor Ort weiter vernetzen und binden. Aber ich bin noch so jung und will halt noch was von der Welt sehen.«
Wir erreichen jetzt den letzten Stoppunserer kleinen Heimattour: Noras Geburtsort – das Dorf Hof-Gallin. Der Weg dorthin zieht sich über eine halbe Stunde, und wir beide klagen darüber, wie ätzend es war, als Schulkind früh aufzustehen. Nora erzählt, dass sie und Güler oft über die angeblich wohlstandsverweichlichte Jugend von heute diskutieren. Es gehöre auch zu ihrem Job, ihrer von Politikalltag überfluteten Chefin manchmal einen Blick in die Realität außerhalb der Blase zu geben.
»Serap sagt dann immer, bei mir würde sie sich dann furchtbar alt fühlen«, sagt Nora.
»Und das war’s dann mit dem Gespräch?«
»Nein, dann suchen wir einen Kompromiss«, antwortet sie ein bisschen erstaunt.
Das funktioniere fast immer. Aber bei der Debatte um die Streichung des Paragrafen 219a (Verbot von öffentlicher Information zu Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte) sprach Güler sorgenvoll von Werbung, Nora vom Recht auf Selbstbestimmung. Trotzdem hätten die beiden auch hier nicht gestritten, sondern verhandeln können, dass das Wort »Werbung« unpassend sei und Frauen dadurch keineswegs »leichtsinnig« Schwangerschaften abbrechen würden. Güler konnte aber aus glaubenstechnischen Gründen trotzdem nicht für die Streichung des Paragrafen stimmen. Nora ist Atheistin. Deeskalation durch Besonnenheit. Amen.
»UND WAS MACHEN SIE HIER?«, FRAGT MICH IHR VATER.
»ICH SCHREIB EIN PORTRÄT ÜBER NORA.«
»OHH!« ER WINKT AB. »DAS WIRD SCHWIERIG!«
Wir erreichen ein altes Backsteinhaus mit Hühnerstall und Schafwiese. Heraus tritt Heiko Zabel, Noras Vater – ein kräftiger Mann mit kurzen grauen Haaren, Latzhose und Regenjacke. »Und was machen Sie hier?«, fragt er mich interessiert mit nordischem Dialekt.
»Ich schreibe ein Porträt über Nora!«
»Ohh!« Er winkt ab und schenkt mir ein Stück Mettwurst. »Das wird schwierig!« Und irgendwie hat er ja Recht, denke ich. Auf der einen Seite treibt sie der Wille, politisch etwas zu verändern, auf der anderen der Wunsch nach Individualismus.
»Was suchst du eigentlich die ganze Zeit?«, frage ich sie, und wieso sie nicht wie viele andere Jungpolitiker:innen sofort in die Politik einsteigen würde, um eben sofort etwas verändern zu können.
»Da habe ich auch lange Zeit drüber nachgedacht«, antwortet sie und erzählt dann davon, wie sie, seitdem sie mit 19 fast alles für die CDU und nichts für ihre Freund:innen und ihr Privatleben getan hatte, Sorge hatte, ihre Persönlichkeit zu verlieren – die möge sie nämlich ganz gern. Aber irgendwann würde sie dann die viel besprochene Verantwortung übernehmen wollen.
»Und Verantwortung heißt für dich …?« »Bundestagsabgeordnete werden«, sagt sie knapp und lächelt, »und irgendwann natürlich Kanzlerin«.
Wir fahren weiter zu einem Fußballplatz. Jetzt würde sie sich noch schonen müssen, aber bald könne sie wieder auf den Platz, sagt Nora.
Ihr Team braucht sie dringend, sie spielt offensives Mittelfeld.
Dieses Porträt wurde finanziert von der taz Panter Stiftung.
Dieser Beitrag ist im März 2023 in taz FUTURZWEI N°24 erschienen.