Diskriminierung sexueller Identitäten : Blockadehaltung überwinden
Laut Koalitionsvertrag soll der Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes um Diskriminierung aufgrund von sexueller Identität erweitert werden. Doch dafür bräuchte die Ampelkoalition Stimmen der Opposition.
Diskriminierung aufgrund von sexueller und geschlechtlicher Identität gehört verboten. Und zwar im Grundgesetz. Das fordern der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und viele andere queere Gruppen schon seit über zehn Jahren. Die Ampelkoalition hat die Verfassungsänderung versprochen. Wird sie sich auch daran halten?
Text von Stefan Hunglinger
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In Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Dieser Katalog sollte 1949 eine demokratische Antwort geben auf die nationalsozialistische Ideologie der Ungleichwertigkeit. Doch Rassismus etwa blieb auch nach dem Krieg eine alltägliche Realität in Deutschland. Auch Frauen wurden – und werden weiter – nicht gleich behandelt. Staat und Gesellschaft behindern das noch immer, obwohl 1994 im Grundgesetz ergänzt wurde, dass der Staat die „tatsächliche Durchsetzung“ der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern solle.
Nicht nur eine historische Verantwortung
Und obwohl die Nazis auch queere Menschen verfolgt haben, verweigerten die 61 Väter und vier Mütter des Grundgesetzes dieser Gruppe eine explizite Nennung. Die DDR hielt noch bis 1950 an der Nazi-Version des „Schwulenparagrafen“ 175 fest, der „unzüchtige“ Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte – die BRD sogar zwei Jahrzehnte länger. Erst 1994 wurde der 175er endgültig aufgehoben. Circa 140.000 Schwule und Bisexuelle wurden nach seinen verschiedenen Versionen verurteilt.
Für Henny Engels aus dem Bundesvorstand des LSVD ist diese Geschichte ein guter Grund, sexueller und geschlechtlicher Identität einen Platz in Artikel 3 zu geben. Auch würde dadurch anti-queere Hasskriminalität juristisch schwerer wiegen. Und: Es gäbe zukünftig keinen stichhaltigen Grund mehr, queer-inklusive Bildungspläne zu verhindern, sagt Engels der taz. Das gelang einer rechten Bewegung in Baden-Württemberg noch 2015.
Die Erweiterung des Gleichstellungsartikels um die sexuelle Identität hat es schon einmal in den Bundestag geschafft. 2019 haben Grüne, FDP und die Linke einen entsprechenden Antrag eingebracht. Doch von den Unionsparteien hieß es damals formal, eine „Aufblähung des Grundgesetzes wäre weder hilfreich noch wünschenswert“. Um den Koalitionsfrieden zu wahren, verweigerten die Sozialdemokrat:innen ihre Zustimmung.
Ampel auf grün – aber Sorgen bleiben
Doch jetzt ist die SPD Kanzlerpartei und regiert mit Befürworter:innen. „Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 GG) um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen und den Begriff ‚Rasse‘ im Grundgesetz ersetzen“, hat sich die Ampel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben.
Das sei ein positives Signal, sagt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* (BVT*). „Nun gilt es zu diskutieren, wie die Verfassungsänderung am besten ausgestaltet wird. Hier müssen trans*, inter* und nicht-binäre Personen auf jeden Fall mitgedacht werden.“ Auch Henny Engels vom LSVD sagt: „Wir fordern den Gesetzgeber auf, dass die Formulierung den Schutz der gesamten queeren Community sicherstellt, also auch zum Beispiel trans und inter Personen.“
Denn die Sorge der Initiative „Grundgesetz für alle“, der sowohl BVT* als auch LSVD angehören, ist, dass die Parlamentarier:innen bei einer Änderung des Antidiskriminierungsartikels nur die sexuelle Identität, nicht aber die Geschlechtsidentität berücksichtigen. Prominente wie Anne Will, Carolin Emcke und Ingo Zamperoni unterstützen „Grundgesetz für alle“. Henny Engels vom LSVD sagt auch: „Wir erwarten, dass die Erweiterung des Artikels 3, Absatz 3, in der Legislaturperiode rechtzeitig angegangen wird, sodass sie nicht der Diskontinuität zum Opfer fällt.“ Wann also kommt der entsprechende Gesetzentwurf?
Der queerpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Falko Droßmann sagt auf Anfrage der taz: „Wir sind guter Dinge, dass dieses wichtige politische Vorhaben bald umgesetzt werden kann, da mittlerweile sogar die CSU in Augsburg öffentlich die Erweiterung des Artikels 3 GG fordert.“ Es sei höchste Zeit, dass die Union Ihre Blockadehaltung „ganzheitlich“ aufgebe. Denn die Ampel allein kann das Grundgesetz gar nicht ändern. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit, die auch zusammen mit der ebenfalls oppositionellen Linken nicht gegeben ist.
Umdenken in der Union?
Doch die Unions-Blockade bröckelt, nicht nur in Augsburg. Im März 2021 machte sich beispielsweise Tobias Hans, damals noch CDU-Ministerpräsident des Saarlands, für die Reform stark. Norbert Röttgen, der bis dahin nicht mit LGBTI-freundlichen Äußerungen aufgefallen ist, überraschte kurz darauf mit seiner Unterstützung. Und im Frühjahr dieses Jahres sprach sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst für die Erweiterung aus. „Es bräuchte nach unserer Rechnung 39 Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion“, sagt Henny Engels vom LSVD. „Wir hoffen aber, dass es eine größere Mehrheit aus der Union dafür geben wird.“In der Gesamtbevölkerung sieht es laut einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) von 2019 so aus: 52 Prozent waren für die Aufnahme der sexuellen Orientierung in die Verfassung. Ein Drittel (33 Prozent) war eher oder voll und ganz dagegen. Etwas weniger Befragte waren der Ansicht, dass der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität festgeschrieben werden sollte. Hier stehen 49 Prozent Zustimmung gegen 35 Prozent Ablehnung.
Auffällig sei laut ADS, „dass relativ viele Befragte die Frage nicht beantworten konnten oder wollten und daher ‚weiß nicht‘ oder ‚keine Angabe‘ angegeben haben“. Der Wert lag bei 16 Prozent. Und das war noch vor Covid. Gibt es für die Menschen in Deutschland also schlicht wichtigere Fragen? Und das vielleicht zu Recht? „Ohne Zweifel haben wir mit der Coronapandemie und dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine große Probleme“, sagt Henny Engels auf diese Frage. „Das kann aber kein Grund sein, bestehende Konflikte um Grundrechte hintanzustellen.“
• Dieser Text erscheint im taz Thema Christopher Street Day, Ausgabe Juli 2022. Redaktion: Ole Schulz.