Fehlfarben-Sänger schreibt Roman: Ein Punk auf Bildungsreise

Peter Hein ist ein Freund klarer Worte. Jetzt hat der Fehlfarben-Sänger sein erstes Buch geschrieben. "Geht so" versammelt prägnante Beschreibungen deutscher Städte.

"Terrorregime Mehdorn"? Peter Hein weiß Bescheid. Bild: dpa

Peter Hein hat schon Pferde kotzen sehen, den Mann bringt nichts aus der Ruhe, während er nicht eilig, aber doch zügig durch deutsche Städte läuft. Selbst Magdeburg könnte seinen Reiz haben, findet sich dort doch "Zuckerbäckerstalinismus in klein, der in ein ganz entzückendes Beispiel urbaner Leere übergeht". Die dortige "1980er-Plattenbau-Ladenstraße" lässt Hein sinnieren: "So hätte man sich ein Fallerhaus gewünscht: modern, gerade, kantig." Doch die Stadt erweist sich schließlich als "Scheißnazidrecksnest", was zum einzigen Zornausbruch in Peter Heins "Wegbeschreibungen" führt, einer Sammlung literarischer Miniaturen, die meist von deutschen Städten handeln.

Der Tonmann von Heins Band - ob es sich dabei um die legendären Fehlfarben oder die noch legendäreren Family 5 handelt, erfahren wir nicht - wurde an einer Magdeburger Tramhaltestelle nämlich nicht nur von "Dreckskins" angepöbelt ("Scheißeskimo"), sondern von einer just vorbeikommenden Polizeistreife auch noch einer Personalienprüfung unterzogen. Wird also belästigt "von diesen verfickten Zonenbullen, die in ihrer verfickten Freizeit dem gleichen verfickten Wehrsport nachgehen wie ihre anders uniformierten Brüder im Ungeist". Dabei werden die Damen und Herren "von unserem Solidarzuschlag bezahlt, damit sie Menschen vor Gelichter schützen".

Peter Hein war als Texter und Sänger immer ein Freund klarer Worte, und man kann nicht oft genug wiederholen, dass die deutsche Popmusik von Blumfeld bis zum HipHop ohne ihn alt aussähe. In seinem ersten Buch mit dem lakonischen Titel "Geht so" wird erneut deutlich, dass der 1957 geborene Düsseldorfer Punk ein wirklich Gebildeter ist, also im Gegensatz zum sinnlosen Wissen fetischisierenden Bildungsbürger stetig an sich und seiner Sprache arbeitet, die aufs Angenehmste zwischen Literatur und Alltagssprache changiert. Hier die geschliffene Formulierung des Belesenen, dort die grammatikalischen "Fehler" des Dialekts. Hein ist einer, "der selber spricht", wie es einst in einem seiner Stücke hieß.

Er kennt seine und unsere Geschichte, und so beginnt sein Buch mit der Rheinstrecke, die er "zur besten Reisezeit" im Zug befährt. Nonchalant wird erst einmal das "Terrorregime Mehdorn" und dessen Herabwürdigung des Reisenden zum "Privatkunden" abgewatscht, um sich umstandslos ein wenig in Erinnerungen an das popelige Adenauernachkriegsdeutschland zu verlieren. Hein liest die deutsche Landschaft, wie ein Archäologe analysiert er die Sedimente. Obendrauf Flaschenlager und Abfüllbetriebe, "Zeugen einer Zeit, als Mineralwasser noch aus der Eifel kam", darunter, am Deutschen Eck, der "elende Wilhelm auf seinem Gaul". Es wird der Rheinreisenden der Romantik gedacht, und da sind auch schon die Burgen, die vom "deutschen Unternehmergeist" zeugen: "Wer hier durchwill, der zahlt oder stirbt."

Am Rhein entpuppt sich Hein als heimlicher Bonapartist. Das hätte man sich irgendwie denken können, hieß die grandioseste aller Platten, auf denen Hein singt, doch "Résistance". Und war darauf nicht ein alliiertes Flugzeug abgebildet, so das Urbild antideutscher Popikonografie schaffend? Wenn Hein durchs Land flaniert, erwandert er Zeugnisse deutscher Geschichte, etwa die "berühmte Mutter aller Sozialsiedlungen" in Augsburg, diverse Dome und fürstbischöfliche Residenzen, allenthalben aber auch die Bausünden der Nachkriegs- und den "Granitoprotzstil" der Nachwendezeit, die sich in einst platt gebombten Städten breitmachen.

Im Gegensatz zum weinerlichen, um Fassung ringenden Ton, der bei der Feststellung dieser traurigen historischen Fakten von hunderttausend Revisionisten immer angeschlagen wird, weiß Hein, warum das so ist. In Würzburg entdeckt er eine "angenehm wenig wehleidige" Gedenkstätte, die "der Bombennacht gilt, in der auch hier kurz vor Kriegsende 45 noch die Gerechtigkeit eingeschlagen hat".

Hein erinnert sich an eine Tournee, die Family 5 durch Italien führte. Insbesondere die Raststätten sind ihm im Gedächtnis haften geblieben, wo dem Reisenden hervorragender Espresso serviert wird. Schon vormittags verkostet der Flaneur gerne mal die Spezialitäten der jeweiligen Region, in München freut er sich über gutes Bier, in Wetzlar über Bio-Äppler. Die faszinierendste Geschichte aber, die der Sänger schildert, der jahrzehntelang in einem großen Unternehmen tätig war, lässt tief in die verqueren Denkweisen und inneren Strukturen multinationaler Konzerne blicken.

"Geht so" ist also ein kurzweiliges, höchst empfehlenswertes Stück Literatur, das vom Leben im globalisierten Deutschland handelt, aber auch vom Triumph des menschlichen Geists über die neuen Technologien. Hein stützt sich nämlich ausschließlich auf seine Erinnerungen aus Aschaffenburg, Zürich, Hamburg etc. "Besser schlecht erinnert als falsch erguggelt." Dabei ist es nicht so, dass Hein einfach nur umherschweift, er systematisiert seine Eindrücke auch im Stil volkstümlich gehaltener Sentenzen, die vielleicht einmal zu den Binsenweisheiten zählen werden: "Es ist schon blöd, dass die meisten sogenannten Touristenfallen ja in den schönsten Gegenden dieser Welt sind." Besonders Heins "Strabaregel" sei jedem Flaneur ans Herz gelegt: "Viel Bahn, gut Stadt."

<typohead type="5">Peter Hein: "Geht so. Wegbeschreibungen". Lilienfeld Verlag, Düsseldorf, 128 Seiten, 16,90 Euro<br/>

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