: Architektur der Synthese
Komplexe und dennoch sehr selbstverständliche Raumschöpfungen, die durch ihre formale Stringenz überzeugen: Die Galerie Aedes East zeigt erstmals die 18 wichtigsten Bauten und Projekte der spanischen Architekten Antonio Cruz und Antonio Ortiz
von OLIVER G. HAMM
Die aktuelle spanische Architektur genießt in der Fachwelt ein hohes Ansehen. Nicht zuletzt weil es ihr häufig gelingt, den Geist der klassischen Moderne – die in Spanien erst spät, während der zweiten Hälfte der Franco-Diktatur (1939–1975) Fuß fasste – mit den regionalen Bautraditionen zu vereinbaren. Dazu kommt, dass spanische Architekten früher und gründlicher als ihre europäischen Kollegen die Moderne einer kritischen Revision unterzogen. Diese stützte sich auf ein Verständnis der Stadt und seines historischen Zentrums als einer wieder zu entdeckenden und wieder zu erweckenden Keimzelle der Gesellschaft und steht damit im krassen Gegensatz zu den Vorstellungen der Verfechter des „internationalen Stils“, die sich bewusst von den überkommenen Stadtstrukturen abwandten.
Als eine „Architektur der Synthese“ beschreibt Rafael Moneo das Werk seiner ehemaligen Schüler Antonio Cruz und Antonio Ortiz, deren 18 wichtigste Bauten und Projekte die Galerie Aedes East erstmals in Deutschland zeigt. Die Seviller Architekten räumen nicht einzelnen Aspekten der jeweiligen Bauaufgabe einen Vorrang ein, wie städtebaulicher Kontext, Raumprogramm, Konstruktion, formale Gestaltung etc., sondern setzen die jeweiligen Parameter so zueinander in Beziehung, dass sich komplexe und dennoch geradezu selbstverständliche Raumschöpfungen ergeben. Bereits seit ihrem viel beachteten Frühwerk – etwa der Wohnblock mit nierenförmigem Innenhof in der Altstadt von Sevilla (1976) – gelten Antonio Cruz und Antonio Ortiz als Meister einer „zeitlosen“, aber kontextuellen Moderne. Neben zahlreichen gelungenen Interventionen in historischer Bausubstanz haben sie inzwischen eine Reihe von formal recht unterschiedlichen Wohnanlagen und einige bemerkenswerte Großbauten vorzuweisen. Mit den Bahnhöfen in Sevilla (1991) und Basel (im Bau), mit den Stadien in Madrid (1994), Sevilla (2000) und Jerez de la Frontera (2002) sowie dem spanischen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover belegten sie gleich mehrfach, dass der architektonische Anspruch im Spannungsfeld zwischen städtebaulichem Kontext und Detailqualität selbst im XXL-Maßstab hochgehalten werden kann. Alle diese Bauten überzeugen insbesondere auch durch ihre räumliche und formale Stringenz – eine zwangsläufige Folge ihrer Arbeitsweise. Seit einigen Jahren gestalten die seit 1971 assoziierten Architekten Cruz y Ortiz ihre Bauten zunehmend freier und expressiver, wie sich in der Ausstellung etwa am Besucherzentrum im Doñana-Nationalpark (2002) in Andalusien, aber auch an dem mit dem 1. Preis ausgezeichneten Wettbewerbsentwurf für die Universitätsbibliothek in Amsterdam (2002) ablesen lässt: Aus einer kompakten Grundstruktur heraus entwickeln sich einzelne Baukörper, die sich mit den angrenzenden Freiräumen zu verzahnen scheinen. Innen- und Außenräume werden in ebenso spannungsvolle Beziehungen zueinander gesetzt wie das gesamte Gebäude zu seinem landschaftlich oder städtisch geprägten Umfeld.
Von einem branding, von einer bei jeder architektonischen Intervention wiedererkennbaren spezifischen Handschrift sind sie glücklicherweise weit entfernt; vielmehr entwickeln sie die räumlich-funktionale Lösung jeweils aus der Aufgabe selbst. So auch beim Umbau des Rijksmuseums in Amsterdam, den Cruz y Ortiz momentan planen: Das monumentale Gebäude, das Pieter Cuypers Ende des 19. Jahrhunderts errichtete, soll den neuen Anforderungen eines modernen Museumsbetriebs angepasst werden. Ohne in das äußere Erscheinungsbild des stadtbildprägenden Gebäudes einzugreifen, schlagen die Seviller Architekten eine Neuordnung der Erschließung und eine neue zentrale Halle im Untergeschoss vor, die der Verteilung der Besucherströme und der Aufnahme neuer Servicebereiche dient. Schon jetzt dürfen wir auf die sich abzeichnende Synthese der funktionalen und räumlich-architektonischen Interventionen und auf das Zusammenspiel zweier Architektursprachen – des späten 19. und des frühen 21. Jahrhunderts – gespannt sein.
Bis 12. 1. 03, Aedes East, Hackesche Höfe, Di.–Fr. 11–18.30, Sa./So. 13–17 Uhr